Die Revolte des Koerpers
Therapeutin auf und erzählte ihr vieles über meine Kindheit. Zuerst ging alles wunderbar. Sie schien mir zuzuhören, und das hat mich enorm erleichtert. Dann sagte sie manchmal Dinge, die mir nicht gefielen, aber es gelang mir, wie schon immer, meine Gefühle zu überhören und mich ihrer Mentalität anzupassen. Sie schien von den östlichen Philosophien stark beeinflußt zu sein, und zuerst meinte ich, dies würde mich nicht stören, solange sie bereit war, mir zuzuhören. Doch sehr bald wollte die Therapeutin mir klarmachen, daß ich mit meiner Mutter Frieden schließen müsse, wenn ich nicht mein ganzes Leben mit dem Haß in mir herumlaufen wolle. Da platzte mir der Kragen, und ich brach die Therapie ab. Vorher sagte ich der Therapeutin, daß ich, was meine Gefühle für meine Mutter beträfe, besser informiert sei als sie. Ich müsse nur meinen Körper befragen, denn ich wurde bei jeder Begegnung mit meiner Mutter von schweren Symptomen alarmiert, sobald ich meine Gefühle unterdrückte. Er scheint unbestechlich zu sein, und ich habe den Eindruck, daß er meine Wahrheit sehr genau kennt, besser als mein bewußtes Ich, er weiß all das, was ich mit meiner Mutter erlebt habe. Er erlaubt mir nicht, mich zugunsten von konventionellen Vorschriften zu verbiegen. Solange ich seine Botschaften ernst nehme und befolge, leide ich nicht mehr unter Migräne oder Ischias, auch nicht mehr unter der Isolierung. Ich habe Menschen gefunden, denen ich über meine Kindheit erzählen konnte, die mich verstehen, weil sie ähnliche Erinnerungen in sich tragen, und ich will keine Therapeuten mehr aufsuchen. Schön wäre es, wenn ich jemanden finden könnte, der mich mit all dem, was ich erzählen möchte, leben läßt, mich nicht mit Moral füttern will und mir so helfen könnte, meine schmerzhaften Erinnerungen zu integrieren. Doch ich bin ohnehin auf dem Weg, dies zu tun, mit Hilfe von einigen Freunden. Ich bin meinen Gefühlen näher als je zuvor. Ich kann diese in zwei Gesprächsgruppen ausdrücken und eine neue Form der Kommunikation ausprobieren, in der ich mich wohlfühle. Seitdem ich das tue, habe ich fast keine körperlichen Beschwerden und Depressionen.«
Der Brief von Elisabeth klang sehr zuversichtlich, und ich wunderte mich nicht, als ich ein Jahr später ein neues Schreiben erhielt, in dem sie mir mitteilte:
»Ich habe keine neue Therapie mehr aufgesucht, und mir geht es gut. Ich habe meine Mutter in diesem Jahr nicht einmal gesehen und habe auch kein Bedürfnis, dies zu tun, denn die Erinnerungen an ihre Brutalität aus der Zeit meiner Kindheit sind so lebendig, daß sie mich vor allen Illusionen schützen und auch vor Erwartungen, ich könne bei ihr noch etwas bekommen, was ich als Kind so sehr gebraucht hätte. Auch wenn ich es von Zeit zu Zeit vermisse, weiß ich, wo ich es auf keinen Fall zu suchen brauche. Im Gegensatz zur Prophezeiung meiner Therapeutin trage ich keinen Haß in mir. Ich brauche meine Mutter nicht zu hassen, weil ich emotional nicht mehr von ihr abhängig bin. Aber die Therapeutin hat das nicht verstanden. Sie wollte mich von meinem Haß befreien und sah nicht, daß sie mich in diesen Haß ungewollt hineingestoßen hätte, der ja gerade der Ausdruck meiner Abhängigkeit war und den sie nochmals kreiert hätte. Würde ich die Ratschläge der Therapeutin befolgt haben, wäre der Haß wieder hochgekommen. Heute brauche ich nicht mehr unter der Verstellung zu leiden, und daher kommt auch kein Haß in mir auf. Es war immer wieder der Haß des abhängigen Kindes, den ich mit meiner Therapeutin hätte perpetuieren müssen, wenn ich sie nicht zur rechten Zeit verlassen hätte.«
Ich war glücklich über die Lösung, die Elisabeth gefunden hatte. Auf der anderen Seite kenne ich Menschen, die diese Klarsicht und Stärke nicht besitzen. Diese brauchen unbedingt Therapeuten, die sie auf ihrem Weg zu sich selber unterstützen, ohne moralische Forderungen zu stellen. Durch Berichte von mißlungenen und gelungenen Therapien kann sich das Bewußtsein der Therapeutinnenund Therapeuten vielleicht erweitern, so daß sie sich vom Gift der Schwarzen Pädagogik befreien können und es nicht unbesehen in ihre Therapien streuen.
Es ist nicht entscheidend, ob man den Kontakt mit den Eltern ganz abbrechen muß oder nicht. Der Ablösungsprozeß, der Weg vom Kind zum Erwachsenen, vollzieht sich ja im Inneren des Menschen. Manchmal ist der Abbruch jeglicher Kontakte das einzig Mögliche, um den eigenen
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