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Die Revolte des Koerpers

Die Revolte des Koerpers

Titel: Die Revolte des Koerpers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Miller
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Stützen der Gesellschaft zu provozieren, nicht angegriffen und ausgestoßen zu werden? Durfte ich etwas gesehen haben, das so viele Menschen, die Freud weiterhin uneingeschränkt folgten, nicht sahen: seinen Selbstbetrug? Ich kann mich erinnern, daß jedesmal unweigerlich körperliche Symptome eintraten, wenn ich mit mir verhandeln wollte und überlegte, ob ich nicht einen Kompromiß finden könnte, ob ich nicht nur einen Teil derWahrheit publizieren wollte. Ich bekam Verdauungs- oder Schlafstörungen und fiel in depressive Verstimmungen. Als ich wußte, daß für mich keine Kompromisse mehr möglich sind, verschwanden diese Symptome.
    Was nach der Publikation folgte, war tatsächlich eine vollständige Ablehnung des Buches und meiner Person in der Fachwelt, in der ich mich damals noch »zu Hause« fühlte. Dieser Bann besteht zwar immer noch, aber im Unterschied zu meiner Kindheit hängt mein Leben nicht mehr von der Anerkennung »der Familie« ab. Das Buch hat seinen Weg gemacht, und seine damals »verbotenen« Aussagen sind heute, sowohl für Laien als auch für Fachleute, eine Selbstverständlichkeit.
    Meiner Kritik an Freuds Vorgehen haben sich inzwischen viele angeschlossen, und die schweren Folgen der Kindermißhandlung werden auch von den meisten Fachleuten, zumindest theoretisch, zunehmend beachtet. Ich bin also nicht umgebracht worden und erlebte, daß meine Stimme sich durchgesetzt hat. Aus dieser Erfahrung heraus schöpfe ich das Vertrauen, daß auch dieses Buch eines Tages verstanden wird. Auch wenn es zuerst schockieren mag, weil die meisten Menschen auf die Liebe ihrer Eltern warten und sich diese Erwartungen nicht nehmen lassen wollen. Doch viele werden dieses Buch verstehen, sobald sie sich selbst verstehen wollen. Die Schockwirkung wird nachlassen, sobald sie merken, daß sie mit ihrem Wissen nicht allein sind und nicht länger den Gefahren ihrer Kindheit ausgesetzt.
     
    Judith, heute vierzig, war als Kind von ihrem Vater auf die brutalste Weise sexuell ausgebeutet worden. Ihre Mutter hat sie nie in Schutz genommen. In einer Therapie gelang es ihr, die Verdrängung aufzuheben und die Symptomeausheilen zu lassen, nachdem sie sich von ihren Eltern getrennt hatte. Doch die Angst vor Strafe, die sie bis zur Therapie abgespalten hielt und erst dank der Therapie zu fühlen lernte, blieb lange bestehen. Insbesondere deshalb, weil ihre Therapeutin der Meinung war, man könne nicht ganz gesund werden, wenn man den Kontakt zu den Eltern vollständig abgebrochen habe. Daher versuchte Judith mit ihrer Mutter ins Gespräch zu kommen. Sie stieß jedesmal auf totale Ablehnung und Verurteilung, »weil sie nicht wisse, daß es Dinge gibt, die man niemals den Eltern sagen dürfe«. Vorwürfe würden dem Gebot »Ehre deine Eltern« zuwiderlaufen und seien daher eine Beleidigung Gottes, hieß es in den Briefen der Mutter.
    Die Reaktionen der Mutter halfen Judith, die Grenzen ihrer Therapeutin wahrzunehmen, die ebenfalls in einem Schema gefangen war, das ihr die Gewißheit zu liefern schien, über das, was man tun müsse, sollte oder dürfe, Bescheid zu wissen. Mit Hilfe einer anderen Therapeutin, mit der sie noch kurz zu arbeiten hatte, merkte Judith, wie dankbar ihr Körper ihr war, nachdem sie sich nicht mehr zu derartigen Beziehungen zwang. Als Kind hatte sie diese Wahl nicht, mußte neben einer Mutter leben, die gleichgültig ihrem Leiden zugesehen hatte und allen Äußerungen des Kindes mit ihren Schablonen begegnete. Judith kannte nur die Ablehnung, wenn sie etwas Eigenes, Wahres außerhalb der Schablone gesagt hätte. Doch eine solche Ablehnung kommt beim Kind wie der Verlust der Mutter an, es gleicht daher einer Todesgefahr. Die Angst vor dieser Gefahr konnte in der ersten Therapie nicht aufgelöst werden, weil die moralischen Forderungen ihrer Therapeutin diesem Gefühl stets neue Nahrung lieferten. Es handelt sich hier um ganz subtile Einflüsse, die uns meistens kaum auffallen, weil sie in vollkommenem Einklang mit den überlieferten Werten stehen, mit denen wir aufgewachsen sind. Es war selbstverständlich und ist es heute meistens noch, daß alle Eltern das Recht haben, geehrt zu werden, selbst wenn sie sich ihren kleinen Kindern gegenüber zerstörerisch verhielten. Sobald man sich aber entschlossen hat, dieses Wertgebäude zu verlassen, empfindet man es als geradezu grotesk, wenn man hört, eine Frau solle im Erwachsenenalter ihre Eltern ehren, die sie brutal mißhandelten oder den Mißhandlungen

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