Die Revolte des Koerpers
keine Gefahr mehr droht, wenn sie merken darf, daß ihr Vater ganz einfach ein Schwächling war, daß er ihr nie geholfen hat, weil er es gar nicht wollte und weil er sie dazu gebraucht hatte, seine eigenen Verletzungen an ihr abzureagieren, um sie nie spüren zu müssen. Und der Körper fühlte sich durch dieses Merken offenbar beruhigt, denn der Tumor, den die Ärzte unbedingt operieren wollten, hat sich sehr schnell zurückgebildet.
In einer ihrer früheren Therapien wurde Laura die Methode der Visualisierung angeboten, auf die sie damals große Hoffnungen setzte. Als es ihr einmal gelang, eine Szene zu erinnern, in der ihr ansonsten idealisierter Vater sie mit siebzehn Jahren aus Eifersucht geschlagen hatte, meinte die Therapeutin, sie sollte sich ihren Vater jetzt als freundlich vorstellen und versuchen, durch dieses positive Bild das alte, negative zu ersetzen. Das half Laura tatsächlich, ihre Idealisierung des Vaters noch auf einige Jahre auszudehnen. Inzwischen wuchs der Tumor in ihrer Gebärmutter, bis sie sich entschloß, sich der Wahrheit, die ihre echte Erinnerung ihr signalisierte, zu stellen.
Solche und ähnliche Techniken werden in Therapien angeboten, um, wie es heißt, negative Gefühle in positive umzuwandeln. Diese Manipulation dient gewöhnlich der Verstärkung der Verleugnung, die seit jeher dem Klienten geholfen hat, sich dem Schmerz seiner (von den authentischen Emotionenangedeuteten) Wahrheit zu entziehen. Der Erfolg solcher Methoden kann daher nur von kurzer Dauer sein und ist sehr problematisch. Denn die ursprüngliche negative Emotion war ein wichtiges Signal des Körpers. Wenn ihre Botschaft ignoriert wird, muß der Körper neue Botschaften ausschicken, um angehört zu werden.
Künstlich erzeugte positive Gefühle sind nicht nur von kurzer Dauer, sie belassen uns auch im Zustand des Kindes, mit dessen kindlichen Erwartungen, die Eltern würden eines Tages nur ihre guten Seiten zeigen und wir bräuchten nie Wut auf sie oder Angst vor ihnen zu fühlen. Doch wir müssen (und können) uns ja gerade von diesen kindlichen illusorischen Erwartungen befreien, wenn wir erwachsen werden und in unserer heutigen Realität leben wollen. Dazu gehört, daß wir auch die sogenannten negativen Emotionen leben dürfen und diese in sinnvolle Gefühle umwandeln können, indem wir deren wirkliche Ursachen ausmachen, anstatt sie so schnell wie möglich aus der Welt schaffen zu wollen. Gelebte Emotionen dauern nicht ewig. (Trotzdem können sie in dieser kurzen Zeit blockierte Energien befreien.) Nur in der Verbannung nisten sie sich im Körper ein.
Massagen zur Entspannung und allerlei Körpertherapien können zeitweise eine große Erleichterung bringen, indem sie zum Beispiel Muskeln und Bindegewebe vom Druck der verdrängten Emotionen befreien, Spannungen lindern und so Schmerzen beseitigen können. Doch dieser Druck kann sich schon am nächsten Tag wieder einstellen, wenn die Ursachen dieser Emotionen unbekannt bleiben, weil die Straferwartung des Kindes in uns noch sehr stark ist und wir daher Angst haben, die Eltern oder ihre Ersatzpersonen zu verärgern.
Ebenso wenig wirksam sind die so häufig empfohlenen Übungen zum »Herauslassen« der Wut, vom Kissenschlagen bis zum Boxen, solange die Personen geschont werden müssen, denen diese Wut in erster Linie gilt. Laura hat viele solcher Übungen ausprobiert, immer mit nur temporärem Erfolg. Erst als sie bereit war, das ganze Ausmaß ihrer Enttäuschung über ihren Vater wahrzunehmen und nicht nur die Wut, sondern auch den Schmerz und die Angst zu spüren, hat sich ihr Uterus ohne Entspannungsübungen wie von selber vom lästigen Tumor befreit.
III. Magersucht: Die Sehnsucht nach echter Kommunikation
»... weil ich nicht die Speise finden konnte,
die mir schmeckt.
Hätte ich sie gefunden, glaube mir,
ich hätte kein Aufsehen gemacht
und mich vollgegessen wie du und alle.«
Franz Kafka, Ein Hungerkünstler
Einleitung zum dritten Teil
Das Gebiet, auf dem die Moral ihre größten Triumphe feiert, ist die Behandlungsweise der Magersucht, Anorexie genannt. Es gehört beinahe zur Regel, daß die Schuldgefühle der anorektischen jungen Leute noch verstärkt werden mit mehr oder weniger deutlichen Ermahnungen: »Sieh doch, wie du deine Eltern unglücklich machst, wie sie deinetwegen leiden müssen.« Der Sinn des Hungerns, dessen eigentliche Botschaft, wird in diesen Ermahnungen durchwegs
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