Die Revolution der Ameisen
der 234. Königin Belo-kiu-kiuni aus der Ni-Dynastie der roten Ameisen vor über 8000 Jahren. Die Königin hatte Forellen zähmen wollen, und sie rief diesen Satz, als sie schon am Ertrinken war. Seitdem haben die Ameisen nie wieder versucht, mit Fischen zu kooperieren, aber der Satz, der so viele Hoffnungen in die unendlichen Möglichkeiten der Ameisen ausdrückt, ist über die Jahrtausende hinweg erhalten geblieben.
Unser einziger wirklicher Feind ist die Furcht.
Tatsächlich wird die gelbe Flamme sehr schnell kleiner.
»Wir müssen ihr etwas Kräftigeres zu essen geben«, meint Nr. 6, die trotz ihres verstümmelten Beins keinen Groll auf das Element Feuer hegt.
Sie nähren die Flamme mit einem trockenen Zweig und dann mit einem Stück Holz; in regelmäßigen Abständen werfen sie immer wieder kleine Holzstückchen hinein, die das Feuer gierig verschlingt.
Unter großen Vorsichtsmaßnahmen wird die Glut auf acht hohle Kieselsteine verteilt. Trotz ihrer Verletzung – oder gerade deshalb, weil sie ein gesundes Mißtrauen entwickelt hat
– erweist Nr. 6 sich als geschickteste Feuerbändigerin, und die anderen befolgen willig ihre Anweisungen.
»Damit werden wir die Zwergameisen angreifen!« ruft die Prinzessin.
Obwohl die Abenddämmerung schon hereinbricht, beladen sie ihr Kriegsschiff mit den acht Kieselsteinen, in denen die Glut sicher verwahrt wird. Nr. 103 hebt einen Fühler und gibt ein starkes Pheromonsignal, das bedeutet:
Vorwärts! Wir werden siegen!
99. ENZYKLOPÄDIE
Der Kinderkreuzzug: Der erste Kinderkreuzzug fand im Jahre 1212 statt. Die Kinder argumentierten folgendermaßen:
»Die Erwachsenen und Adligen haben es nicht geschafft, Jerusalem zu befreien, weil sie unrein sind. Aber wir sind Kinder, und deshalb sind wir rein.«
Am größten war die Begeisterung im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Eine Kinderschar machte sich auf den Weg ins Heilige Land. Sie hatte keine Landkarten und glaubte, nach Osten zu marschieren, aber in Wirklichkeit war sie in südlicher Richtung unterwegs. Die Schar durchquerte das Rhônetal, und immer mehr Kinder schlossen sich an, so daß es schließlich mehrere tausend waren.
Sie plünderten und bestahlen die Bauern, aber immer wieder wurde ihnen versichert, daß sie bald ans Meer gelangen würden, und das beruhigte sie, denn sie waren überzeugt davon, daß das Meer sich für sie – wie einst für Moses – auftun würde, damit sie trockenen Fußes nach Jerusalem gelangen könnten.
Tatsächlich kamen sie heil in Marseille an, aber das Meer tat sich nicht für sie auf. Vergeblich warteten sie im Hafen, bis zwei Sizilianer ihnen vorschlugen, daß sie sie mit einem Schiff nach Jerusalem bringen würden. Die Kinder glaubten an ein Wunder, aber es war leider kein Wunder. Vielmehr arbeiteten die Sizilianer mit tunesischen Piraten zusammen, die die Kinder nicht nach Jerusalem, sondern nach Tunis brachten, wo sie alle auf dem Sklavenmarkt verkauft wurden.
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III 296
100. DER GROSSE KARNEVAL
»Wir wollen nicht mehr warten! Vorwärts!« rief ein Zuschauer.
Julie hatte zwar keine Ahnung, wohin das alles führen sollte, aber ihre Neugier trug die Oberhand davon.
»Vorwärts!« stimmte sie zu.
Der Direktor des Kulturzentrums flehte noch einmal, alle sollten wieder Platz nehmen. »Bewahren Sie bitte Ruhe! Das ist doch nur ein Konzert!«
Jemand schaltete sein Mikrofon aus.
Julie und die Sieben Zwerge fanden sich auf der Straße wieder, umringt von einer begeisterten Menge, der sie rasch irgendein Ziel geben mußten.
»Zum Gymnasium!« entschied Julie. »Wir werden ein Fest veranstalten.«
»Zum Gymnasium!« wiederholten die anderen.
Der Adrenalinspiegel der Sängerin stieg noch immer an.
Keine Marihuanazigarette, kein Alkohol, kein Rauschgift konnte eine solche Wirkung hervorrufen. Sie war wirklich high.
Weil sie jetzt nicht mehr durch das Rampenlicht von ihren Zuschauern getrennt war, konnte Julie Gesichter erkennen. Es waren Menschen aller Altersstufen, blutjunge und erwachsene, Männer und Frauen. Insgesamt bildeten etwa 500 Personen eine farbenprächtige Prozession auf der Hauptstraße von Fontainebleau. Julie stimmte die ›Revolution der Ameisen‹ an, und die Menge fiel begeistert ein.
»Wir sind die neuen Erfinder!
Wir sind die neuen Visionäre!«
Die Mädchen vom Aikido-Club hinderten die Autos am Weiterfahren, damit der ausgelassene Karnevalszug sich frei entfalten
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