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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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eine regelrechte Treibjagd auf das ganze Ungeziefer, und die Akazie, die endlich wieder durchatmen kann, bedankt sich, indem sie reichlich Saft absondert, der eine wohlschmeckende Sauce zum Fleisch der erlegten Parasiten abgibt.
    Totenuhr in Akaziensaft – ein köstliches Gericht! Vielleicht ist das die Geburtsstunde einer Ameisengastronomie …
    Draußen regnet es in Strömen, es donnert und blitzt. Nr. 10\1 späht durch einen Spalt in der Rinde und genießt das herrliche Schauspiel des entfesselten Himmels, der die Natur am Boden zähmt. Alle Pflanzen werden vom Wind gepeitscht, und unvorsichtige Insekten, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit gebracht haben, fallen harten Regentropfen zum Opfer.
    Diesen Gewalten sind bestimmt nicht einmal die Finger gewachsen! denkt Nr. 103.
    Plötzlich erbebt die ganze Akazie, und ihre Rinde platzt auf.
    Die Ameisen zucken erschrocken zusammen. Eine Katastrophe! Der Baum ist von einem Blitz getroffen worden, und seine Spitze brennt schon lichterloh! Vor Schmerz vergießt er bittere Tränen, die aus seinem Saft bestehen. Die Ameisen können ihm nicht helfen. Sie müssen schleunigst die Flucht ergreifen, denn schon dringen giftige Dämpfe in die Gänge.
    Von der Hitze zu größter Eile angetrieben, rennen sie nach unten und entlang der Wurzeln ins Freie, wo sie mit ihren Mandibeln die Erde aufwühlen, um vor Wasser und Feuer Schutz zu suchen.
    Sie dichten ihre Höhle nach oben hin ab, schmiegen sich aneinander und warten.
    Die ganze Akazie steht jetzt in Flammen und krümmt ihre Äste im Todeskampf. Die Ameisen sehen den hellen Lichtschein sogar durch die Sandschicht, die ihnen als Decke dient.
    Die Hitze hält nicht lange an. Sobald der Baum niedergebrannt ist, wird es statt dessen empfindlich kalt. Die Sanddecke ist so hart geworden, daß die Ameisen sie nicht einmal mit ihren Mandibeln durchstoßen können. Um ihre Erdhöhle verlassen zu können, müssen sie einen großen unterirdischen Umweg machen.
    Es regnet nicht mehr, aber alles sieht trostlos aus. Von der Cornigera-Akazie, dem einzigen Reichtum dieser kleinen Insel, ist nur noch ein Häufchen grauer Asche übrig geblieben.
    Nr. 6 ruft die anderen herbei. Sie will ihnen etwas zeigen.
    Alle scharen sich um das Erdloch, in dem ein rotes Tier zuckt. Nein, das ist kein Tier. Auch keine Pflanze und kein Mineral. Nr. 103 erkennt sofort, worum es sich handelt. Das ist Glut, die den Regen überlebt hat.
    Nr. 6 streckt ein Vorderbein aus und berührt die orangefarbene Materie. Zu ihrem großen Entsetzen schmelzen ihre Fußglieder. Ein gräßlicher Anblick: Ihr rechtes Bein wird flüssig und löst sich einfach auf! Übrig bleibt nur ein runder Stumpf, den sie rasch mit ihrem Speichel desinfiziert.
    »Damit könnten wir vielleicht die Zwerginnen besiegen«, sagt die Prinzessin. Die anderen beben vor Überraschung und Angst.
    Das Feuer?
    Nr. 103 erklärt ihnen, man fürchte sich immer vor dem Unbekannten, aber Feuer könne durchaus nützlich sein. Nr. \1 entgegnet, daß man es jedenfalls nicht berühren dürfe. Diese schmerzliche Erfahrung habe Nr. 6 ja soeben gemacht. Nr. 10\1 stimmt zu: Man dürfe Glut niemals anfassen, aber man könne sie trotzdem aufbewahren. Dazu brauche man nur einen hohlen Kieselstein, denn gegen Steine sei das Feuer machtlos.
    Kiesel liegen auf der Insel überall herum. Mit Hilfe langer Stengel, die als Hebel eingesetzt werden, gelingt es den dreizehn Ameisen, die Glut hochzuheben und in einen Kieselstein zu legen, wo sie wie ein kostbarer Rubin funkelt.
    Nr. 103 erklärt, das Feuer sei mächtig, aber andererseits auch sehr anfällig. Es könne zwar einen Baum oder sogar einen ganzen Wald mit all seinen Bewohnern vernichten, doch manchmal genüge schon der Flügelschlag einer Mücke, um es zum Erlöschen zu bringen.
    »Dieses Feuer hier kommt mir ziemlich krank vor«, fügt sie hinzu und deutet auf die schwarzen Verfärbungen, die bei Glut immer ein Hinweis auf schwache Gesundheit seien. Man müsse sie wiederbeleben.
    Aber wie?
    Die Glut braucht Nahrung.
    Es ist nicht leicht, nach dem Regen ein trockenes Blatt zu finden, aber sie entdecken eines unter einem Ast und schieben es vorsichtig in die sterbende Glut. Eine gelbe Flamme lodert auf.
    Die zwölf jungen Ameisen weichen erschrocken zurück, aber Nr. 103 richtet ihre Fühler auf und ruft beschwörend den uralten Pheromonsatz:
    »UNSER EINZIGER WIRKLICHER FEIND IST DIE
    FURCHT!«
    Alle Ameisen kennen den Ursprung dieses Satzes. Das waren die letzten Worte

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