Die Revolution der Ameisen
stellen fest, daß es wirklich sehr schmackhaft ist. Die Käfer sind viel knuspriger, und man braucht sie nicht so lange zu kauen, weil ihre Panzer zerbröckeln. Die Schnecken lassen sich viel leichter zerschneiden, und die Bienen sind wunderbar karamelisiert.
Alle speisen mit großem Appetit, denn Angst macht bekanntlich hungrig. Nur Nr. 103 läßt den Kopf hängen.
» Wo ist Nummer 24?«
Sie sucht ihn überall, läuft von links nach rechts und wieder zurück.
»Wo ist Nummer 24?« wiederholt sie ständig.
»Sie ist ganz verrückt nach dieser Nummer 24 «, kommentiert eine junge Belokanerin.
»Nach Prinz Nummer 24!« korrigiert eine andere anzüglich.
So, jetzt wissen alle, daß Nr. 24 ein Männchen ist! Und Nr.
103 ist bekanntlich ein Weibchen … Nach dieser Feststellung entwickelt sich eine in Ameisenkreisen bislang unbekannte Untugend: Klatsch über bekannte Persönlichkeiten. Doch weil es keine Presse gibt, ziehen die Gerüchte zum Glück keine weiten Kreise.
»Wo bist du, Nummer 24?« ruft die Prinzessin immer ängstlicher. Weil sie ihren Freund unter den Lebenden nicht finden kann, sucht sie ihn nun unter den Toten und verlangt sogar, daß die Ameisen ihre Braten vorzeigen, um gewiß sein zu können, daß es nicht der Prinz ist.
Endlich gibt sie resigniert auf, und weil sie im Augenblick offenbar nicht fähig ist, wichtige Entscheidungen zu treffen, übernimmt ihre Assistentin die Führung. Nr. 5 schlägt vor, diesen Ort des Todes zu verlassen und zu neuen grünen Weiden weiterzumarschieren. Man müsse sich beeilen, denn Bel-o-kan sei nach wie vor von dem weißen Schild bedroht, und wenn die Finger tatsächlich das Feuer und das Hebelprinzip beherrschten, seien sie mit Sicherheit in der Lage, nicht nur die Stadt, sondern auch die ganze Umgebung zu verwüsten.
Nr. 6 beharrt, man müsse etwas Glut einsammeln und in einem hohlen Stein mitnehmen. Anfangs sind alle dagegen, doch Nr. 5 begreift, daß das Feuer ihr letzter Trumpf sein könnte. Niemand konnte schließlich vorhersagen, welche Gefahren unterwegs noch auf sie lauerten. Deshalb werden drei Insekten beauftragt, den Kieselstein mit der orangefarbenen Glut zu schleppen.
Empört darüber, daß das Feuer, das solche Verwüstung angerichtet hat, mitgeführt wird, trennen sich zwei Ameisen von dem Trupp. Jetzt sind es nur noch 33 Ameisen – Nr. 103, die zwölf Kundschafterinnen und 20 Cornigeranerinnen –, die der hoch am Himmel stehenden Sonne auf ihrem Weg nach Westen folgen.
131. ACHT LEUCHTEN
Dritter Tag. Die acht ›Ameisen‹ waren im Morgengrauen aufgestanden, um ihren Projekten den letzten Schliff zu geben.
»Wir sollten uns jeden Morgen um neun zu einer Besprechung hier im Computerraum treffen«, regte Julie an.
Sie saßen im Kreis um einen Computer herum. Ji-woong ergriff als erster das Wort und verkündete, sie seien jetzt ans Internet angeschlossen. Er habe sich seit sechs Uhr damit beschäftigt und mittlerweile sogar schon einige Anfragen erhalten.
Stolz präsentierte er ihnen auf dem Bildschirm seinen Teletext. Unter dem Symbol mit den drei Ameisen und der Devise 1 + 1 = 3 stand in Großbuchstaben: REVOLUTION DER AMEISEN.
Er erklärte den anderen seinen Agora-Service, der öffentliche Debatten ermöglichte, den Informations-Service der über ihre täglichen Aktivitäten berichten würde, und den Rückhalt-Service, der ihren Connections eine Teilnahme an laufenden Programmen erlaubte.
»Alles klappt bestens. Die bisherigen Interessenten wollen hauptsächlich wissen, warum wir unsere Bewegung ›Revolution der Ameisen‹ nennen, und welcher Zusammenhang zwischen einer Revolution und diesen Insekten besteht.«
»Wir müssen unsere Originalität betonen«, warf Julie eifrig ein. »Die Verbindung mit den Ameisen ist ja tatsächlich ein ungewöhnliches Thema für eine Revolte – ein Grund mehr, es besonders hervorzuheben.«
Die Sieben Zwerge stimmten ihr zu.
Ji-woong informierte sie, daß er – alles per Computer, ohne das Gymnasium verlassen zu müssen – den Namen ›Revolution der Ameisen‹ als Warenzeichen eingetragen und eine GmbH
gegründet habe, so daß sie nun alle möglichen Projekte verwirklichen könnten. Auf Tastendruck erschienen auf dem Bildschirm die Statuten der GmbH, die von allen aufmerksam durchgelesen wurden.
»Wir sind ab jetzt nicht nur eine Rockgruppe, nicht nur eine Schar Jugendlicher, die ein Gymnasium besetzt halten, sondern auch eine kapitalistische ökonomische Gesellschaft! Auf diese Weise
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