Die Revolution der Ameisen
Rhythmus, keine Regelmäßigkeit, keine Logik darin erkennen. Mehrere hatten sich schon als Propheten versucht, doch jedesmal hatte Léopold ihre Interpretation seines göttlichen Denkens für falsch erklärt.
»Hilf uns doch ein bißchen. Ich habe den Eindruck, daß die Zahlen und Farben überhaupt keine Rolle spielen.«
»Das stimmt.«
Alle mußten passen und verlangten die Auflösung des Rätsels.
»Meine Regel war ganz simpel«, grinste Léopold.
»Abwechselnd eine Karte, deren Name auf einen Vokal endet, und eine Karte, deren Name auf einen Konsonanten endet.«
Sie schlugen mit Kopfkissen auf ihn ein.
Während einer der nächsten Partien dachte Julie, daß von ihrer ›Revolution der Ameisen‹ letztlich nur ein paar Symbole übriggeblieben waren: die Zeichnung mit den drei Y-förmig angeordneten Ameisen, die Devise 1 + 1 = 3, das Spiel
›Eleusis‹ und der Met.
Man will die Welt verändern und hinterläßt in der Erinnerung der Menschen nur ein bißchen Kleinkram. Edmond Wells hatte recht. Allen Revolutionären mangelte es an Demut.
Das junge Mädchen mit den hellgrauen Augen legte eine Herzdame auf den Tisch. »Schlechte Karte«, meinte Léopold zufrieden.
»Die Ablehnung einer Karte ist manchmal aufschlußreicher als ihre Annahme«, sagte Zoé und erklärte sich zur Prophetin.
›Gott‹ mußte zugeben, daß sie seine Regel durchschaut hatte.
Sie tranken Met, spielten Karten und fühlten sich wohl.
Beim Spielen konnten sie vergessen, wo sie sich befanden. Sie redeten über alles mögliche, nur nicht über Narcisse. Das wäre zu schmerzlich gewesen, denn sobald ein Kreis sich geschlossen hat, kann man ihn nicht mehr anders zusammenfügen. Wenn auch nur ein Glied fehlt, fühlen sich alle verstümmelt.
Arthur betrat den Raum. »Es ist mir gelungen, Kontakt mit eurer befreundeten Universität in San Francisco aufzunehmen.«
Alle stürzten in den Computersaal. Francine setzte sich vor die Tastatur und diskutierte auf diese Weise mit den amerikanischen Studenten. Sobald sie ihre Identität nachgewiesen hatte, erklärten sie sich bereit, alle Programme der ›Revolution der Ameisen‹ nach Frankreich zu überspielen.
Innerhalb von fünf Minuten füllte sich der Computer mit Daten, wurde durch ein Wunder der Technologie alles neu geboren. Sie konnten die Filialen wieder eröffnen. Das
›Fragenzentrum‹ hatte Winterschlaf gehalten, aber David reaktivierte es. Infra-World hatte sich hingegen auch im Gast-Computer weiterentwickelt; die Bewohner dieser künstlichen Welt waren offenbar genauso anpassungsfähig wie ein Einsiedlerkrebs, der sich in jeder Muschel, die ihn beherbergt, sofort wohl fühlt.
Julie, die noch vor kurzem befürchtet hatte, ihr blieben als Erinnerungen nur der Met und das Spiel ›Eleusis‹, sah staunend, daß ihre Revolution wieder zum Leben erwachte wie ein ausgetrockneter Schwamm, der ins Wasser getaucht wird.
Unsterblichkeit durch Informatik – keiner vorangegangenen Revolution war dieses Glück beschieden gewesen!
Alles war wieder da: Narcisses Schmetterlingskleider, Léopolds architektonische Pläne, Pauls Rezepte …
Ji-woong informierte per Internet die ganze Welt, daß die Revolutionäre sich zwar im Augenblick verstecken müßten, daß ihre Bewegung aber weiterlebe. Sicherheitshalber sollten alle Kontakte vorläufig über die Universität von San Francisco laufen, die die Botschaften per Satellit weiterleiten würde.
Julie konnte plötzlich nicht mehr verstehen, warum sie im Gymnasium von Fontainebleau gescheitert waren.
Francine brannte darauf, sich vom Stand der Dinge in Infra-World zu überzeugen. Sie stellte fest, daß ihre künstliche Welt ein ungewöhnliches Wachstum erlebt hatte. Die Bewohner waren der Zeit der realen Welt weit voraus und lebten im Jahre 2130. Sie hatten neue Verkehrsmittel auf der Basis elektromagnetischer Energie und neue Heilmethoden mit Hilfe von Kurzwellen entdeckt. Seltsamerweise waren sie bei allen technologischen Neuerungen darauf bedacht gewesen, größten Wert auf Ästhetik zu legen und die Natur zu kopieren.
Beispielsweise gab es keine Helikopter, sondern Flugzeuge, die mit den Flügeln schlugen und ›Ornithopteres‹ hießen. Und ihre Unterseeboote hatten keine Schiffsschrauben, sondern ein Antriebsmittel in Form eines langen beweglichen Fischschwanzes. Francine beobachtete diese parallele Welt und bemerkte plötzlich, daß etwas nicht in Ordnung war. Sie zoomte zu den Stadträndern und zuckte erschrocken zusammen.
»Sie
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