Die Revolution der Ameisen
sie könnte die Katastrophe auslösen, anstatt sie zu verhindern. Ihre Mandibel zitterten. Die verpestete Luft hinderte sie am klaren Denken. Sie balancierte über einen dünnen Kupferdraht, zählte drei Mikroprozessoren, bog um eine Kurve voller Widerstände und Kondensatoren …
Francines Instruktion lautete: die vierte Leitung unterbrechen.
Entschlossen durchtrennte sie die Plastikhülle und stieß auf giftiges Kupfer.
MacYavel schaltete plötzlich seinen Ventilator ein, um das lästige Insekt hinwegzufegen. Ein Sturm!
Nr. 103 klammerte sich an die Elektronikbausteine, voller Furcht, davongeweht zu werden. Nach dem Kampf mit dem Finger mußte sie nun auch noch die Maschine besiegen!
Summend schaltete sich das rückwärts laufende Zählwerk ein, das die Bombenexplosion auslösen würde.
Die Ziffern warfen ihr rotes Licht auf die Ameise. 10, 9, 8 … Die Königin mußte noch zwei Kupferadern durchtrennen, aber leider konnte sie Rot und Grün nicht unterscheiden. Ihr auf Infrarot ausgerichtetes Sehvermögen bewirkte, daß sie beide Farben als hellbraun wahrnahm.
7 … 6 … 5 … Sie zerschnitt aufs Geratewohl einen Draht.
Das Zählwerk lief weiter.
Der falsche Draht!
Verzweifelt nahm sie den letzten in Angriff.
4 … 3 … 2 …
Der Draht war erst zur Hälfte durchtrennt. Trotzdem blieb das Zählwerk auf 2 stehen.
MacYavel war außer Gefecht gesetzt.
Die Königin starrte das stehengebliebene Zählwerk an, und plötzlich ging etwas gänzlich Unerwartetes in ihr vor. Ein prickelnder Druck stieg ihr ins Gehirn. Wahrscheinlich war die kolossale Anstrengung schuld daran, daß eine bizarre Mischung von Pheromonen ein Molekül entstehen ließ, das dem Geist einer Ameise eigentlich fremd war. Die Königin hatte keine Kontrolle über das, was ihr widerfuhr. Das Prickeln wurde immer stärker, aber es war nicht unangenehm.
Wie durch Zauberei löste sich ihre Anspannung auf. Sie hatte ähnliche Gefühle wie beim Liebesakt mit Nr. 24, aber sie wußte, daß das nicht die Liebe war. Nein, das hier war …
Humor!
Nr. 103 lachte schallend, was sich bei ihr durch unkontrolliertes Zucken des Kopfes, Speicheln und zitternde Mandibel äußerte.
239. ENZYKLOPÄDIE
Humor: Wissenschaftlich erfaßt ist nur ein einziger Fall von Humor bei Tieren.
Jim Anderson, ein Primatologe der Universität Straßburg, hat einen Artikel über den Gorilla Koko geschrieben, dem man die Zeichensprache der Taubstummen beigebracht hatte. Eines Tages wurde Koko nach der Farbe eines weißen Handtuchs gefragt. Er machte eine Geste, die ›rot‹ bedeutete. Der Wissenschaftler wiederholte seine Frage und schwenkte das Handtuch demonstrativ vor den Augen des Affen. Er erhielt die gleiche Antwort und wunderte sich, warum Koko auf seinem Irrtum beharrte.
Erst als der Mensch nahe daran war, die Geduld zu verlieren, griff der Gorilla nach dem Handtuch und deutete auf die schmale rote Borte, mit der das Handtuch eingefaßt war. Dabei legte er ein Verhalten an den Tag, das die Forscher ›Mimik beim Spiel‹ nennen: ein breites Grinsen, geschürzte Lippen, gebleckte Vorderzähne, weit aufgerissene Augen.
Vielleicht hatte Koko viel Humor …
EDMOND WELLS,
Enzyklopädie des relativen und absoluten Wissens, Band III
240. BEGEGNUNG MIT EINEM ERSTAUNLICHEN MENSCHEN
Finger verschränkten sich. Tänzer drückten ihre Partnerinnen fest an sich.
Ball im Schloß von Fontainebleau.
Zu Ehren der Partnerschaft zwischen Fontainebleau und der dänischen Stadt Esjberg wurde in dem historischen Gebäude gefeiert. Austausch von Flaggen, Medaillen, Geschenken.
Volkstänze und Volksmusik. Präsentation der Schilder FONTAINEBLEAU – HACHINOHE – ESJBERG
PARTNERSTÄDTE
Künftig sollten sie an den Stadtgrenzen der drei Orte stehen.
Trinksprüche mit dänischem Aquavit und französischem Pflaumenschnaps.
Autos, die mit den Wimpeln beider Staaten geschmückt waren, parkten im Hof, und immer noch trafen verspätete Gäste in Abendgarderobe ein.
Dänische Staatsbeamte verbeugten sich höflich vor ihren französischen Kollegen, die ihnen herzlich die Hand schüttelten. Man lächelte einander zu, man tauschte Visitenkarten aus, man stellte Ehefrauen vor.
Der dänische Botschafter ging auf den Präfekten zu und flüsterte ihm ins Ohr: »Ich habe diesen Prozeß gegen die Ameisen teilweise verfolgt. Wie ist die Sache eigentlich ausgegangen?«
Das Lächeln des Präfekten gefror. Er fragte sich, wie gut sein Gesprächspartner wohl informiert sein
Weitere Kostenlose Bücher