Die Revolution der Ameisen
abgeschlossen?«
Erst nachdem er gegessen und ein Glas Bier getrunken hatte, zog der Arzt seinen weißen Kittel an und führte den Polizeibeamten ins Labor, wo er sein Dossier hervorholte.
Anhand von Blutanalysen hatte der Experte eine sehr starke allergische Reaktion festgestellt, und am Hals der Leiche hatte er einen roten Punkt entdeckt. Sein Befund lautete deshalb: Tod durch Wespenstich. Das war durchaus keine Seltenheit.
»Wenn die Wespe zufällig eine Vene trifft, die direkt mit dem Herzen verbunden ist, wirkt ihr Gift tödlich«, erklärte er.
Der Kommissar war überrascht. Was er für einen Mord gehalten hatte, war also nichts weiter als ein unglückseliger Zufall gewesen: ein Wespenstich im Wald.
Doch da war immer noch diese mysteriöse Pyramide …
Vielleicht war es ja tatsächlich nur ein Zufall, aber merkwürdig war es schon, daß jemand ausgerechnet am Fuße einer unerlaubt errichteten Pyramide in einem Naturschutzgebiet an einem Wespenstich starb.
Der Kommissar dankte dem Gerichtsmediziner und machte sich mit nachdenklich gerunzelter Stirn auf den Heimweg.
»Guten Abend, Monsieur!«
Drei junge Burschen kamen ihm entgegen. Maximilien erkannte Gonzague, den Neffen des Präfekten. Er hatte blaue Flecken im Gesicht und eine Bißwunde an der Wange.
»Bist du in eine Schlägerei geraten?« erkundigte sich der Kommissar.
»So was Ähnliches«, erwiderte Gonzague. »Wir haben einer ganzen Bande Anarchisten die Fressen poliert.«
»Interessierst du dich immer noch für Politik?«
»Wir gehören zu den Schwarzen Ratten, dem Stoßtrupp der Jugendorganisation der neuen extremen Rechten«, berichtete einer der anderen Jungen stolz und überreichte dem Kommissar ein Flugblatt.
AUSLÄNDER RAUS! las Maximilien und murmelte: »Aha, ich verstehe …«
»Unser Problem besteht darin, daß es uns an Waffen fehlt«, vertraute ihm der dritte Bursche an. »Wenn wir einen so tollen Revolver wie Sie hätten, wäre unsere politische Lage wesentlich günstiger.«
Der Kommissar bemerkte erst jetzt, daß seine Dienstwaffe unter dem offenen Jackett zu sehen war, und knöpfte es hastig zu. »Weißt du, ein Revolver ist nichts so Großartiges, wie du glaubst, sondern nur ein Hilfsmittel, ein Werkzeug wie jedes andere auch. Worauf es wirklich ankommt, ist das Gehirn, das dem Nerv am Zeigefinger sagt, ob er auf den Abzug drücken soll oder nicht. Es ist ein sehr langer Nerv …«
»Aber nicht der längste«, grinste einer der Burschen.
»Also dann, guten Abend«, verabschiedete sich der Kommissar, der mit dieser Art von Humor der Jugendlichen nichts anzufangen wußte.
Gonzague hielt ihn zurück. »Wissen Sie, Monsieur, wir sind für Recht und Ordnung«, verkündete er. »Sollten Sie irgendwann unsere Hilfe benötigen, so zögern Sie nicht, mit uns Kontakt aufzunehmen.«
Er überreichte Maximilien seine Visitenkarte, die dieser höflich in die Tasche schob, bevor er seinen Weg fortsetzte.
»Wir sind jederzeit bereit, der Polizei zu helfen!« rief ihm der Schüler nach.
Der Kommissar zuckte mit den Schultern. Die Zeiten änderten sich wirklich. In seiner Jugend hätte er sich nie erlaubt, eine Respektsperson einfach anzusprechen. Und heutzutage erboten sich junge Leute ganz dreist, Hilfspolizisten zu spielen! Er beschleunigte seine Schritte, weil er es plötzlich eilig hatte, Frau und Tochter wiederzusehen.
Auf den Hauptstraßen von Fontainebleau herrschte lebhaftes Treiben. Mütter schoben Kinderwagen, Bettler verlangten ein Almosen, Frauen zogen Einkaufswägelchen hinter sich her, Kinder machten Hüpfspiele, müde Männer eilten nach einem langen Arbeitstag nach Hause, und die Ärmsten der Armen durchwühlten die Mülltonnen, die wegen des Streiks randvoll waren.
Dieser Gestank!
Maximilien ging noch schneller. Es stimmte wirklich –
diesem Land fehlte es an Recht und Ordnung. Die Leute machten, was sie wollten, ohne jeden Gemeinschaftssinn!
In den Städten herrschte das Chaos. Er liebte seinen Beruf, denn als Polizist hatte man ähnliche Pflichten wie ein Gärtner: Man mußte das Unkraut beseitigen, die gesunden Bäume schützen, die Hecken beschneiden – kurz gesagt, man mußte einen Lebensraum so sauber und schädlingsfrei wie nur möglich erhalten.
Zu Hause fütterte er als erstes seine Fische und stellte dabei fest, daß ein Guppy-Weibchen Junge zur Welt gebracht hatte, die es jetzt genüßlich verspeiste. In Aquarien gab es eben keine Moralvorstellungen. Er betrachtete das große Holzfeuer im Kamin, bis
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