Die Revolution der Ameisen
herzustellen. Eine Zivilisation konnte untergehen, nur weil sie nicht daran gedacht hatte, das Getreide vor Würmern und Käfern zu schützen!
Seine ganze virtuelle Bevölkerung – 600000 Personen – war ums Leben gekommen, aber sein Ratgeber MacYavel tröstete ihn mit dem Hinweis, daß er jederzeit eine neue Partie mit neuer Bevölkerung beginnen könne. Bei dem Spiel Evolution durfte man beliebig viele Zivilisationen entwerfen.
Bevor er auf den Knopf drückte, der alles in den Urzustand zurückversetzen würde, betrachtete der Kommissar die beiden verlassenen Pyramiden auf dem kleinen Bildschirm. Seine Gedanken schweiften vom Spiel ab.
Eine Pyramide war kein harmloses Bauwerk, sondern ein mächtiges Symbol.
Was mochte demnach das Geheimnis der realen Pyramide im Wald von Fontainebleau sein?
43. MOLOTOWCOCKTAIL
Eine Insel des Friedens! Nach hundert Umwegen auf dem Nachhauseweg lag Julie gemütlich unter der Bettdecke und las im Schein einer Taschenlampe in der Enzyklopädie . Sie wollte endlich begreifen, welche Art von Revolution dieser Edmond Wells eigentlich für wünschenswert hielt.
Die Texte kamen ihr oft widersprüchlich vor. Manchmal sprach er von ›Revolution‹, dann wieder von ›Evolution‹, aber immer war von ›Gewaltlosigkeit‹ und ›Aufsehen vermeiden‹
die Rede. Er wollte die Mentalität der Menschen auf unauffällige Art und Weise verändern, fast heimlich.
Es wurde von vielen Revolutionen berichtet, aber bisher war offenbar keine einzige wirklich geglückt. Sie schienen entweder zu scheitern oder außer Kontrolle zu geraten.
An interessanten Stellen mangelte es trotzdem nicht.
Beispielsweise fand Julie eine genaue Anleitung zur Herstellung von Molotowcocktails.
Ihr verletztes Knie schmerzte. Sie nahm den Verband ab und betrachtete die Schnittwunden. Nie zuvor hatte sie ihr Knie so bewußt wahrgenommen: jeden Knochen, jeden Muskel, jeden Knorpel. Leise murmelte sie vor sich hin: »Guten Tag, Knie !
Die alte Welt hat dir weh getan, aber ich werde dich rächen!«
Sie begab sich in den Gartenschuppen, wo sie alles fand, was man zur Herstellung einer Brandbombe brauchte: eine Flasche, Natronchlorat, Benzin und die übrigen Chemikalien. Ein Halstuch ihrer Mutter diente als Stöpsel, und schon war ihr Molotowcocktail fertig.
Julie drückte die kleine selbstgebaute Bombe an ihre Brust.
Es war noch lange nicht gesagt, daß ihr Gymnasium uneinnehmbar war!
44. IM SAND
Sie sind erschöpft. Es ist lange her, seit sie etwas gegessen haben, und sie leiden an ersten Folgen des Flüssigkeitsmangels.
Ihre Fühler werden steif, die Beingelenke knirschen, die Augen überziehen sich mit einer Staubschicht, und sie haben nicht mehr genug Speichel, um sie zu putzen. Die dreizehn Ameisen fragen einen Sandfloh nach dem Weg zur großen Eiche. Kaum hat er geantwortet, da wird er auch schon gefressen. In gewissen Situationen kann man sich den Luxus, ›danke‹ zu sagen, einfach nicht leisten. Sie saugen den Sandfloh vollständig aus, um jedes Molekül seiner Feuchtigkeit in sich aufzunehmen.
Wenn die Wüste sich noch lange hinzieht, werden sie alle sterben. Nr. 103 kann kaum noch ein Bein vor das andere setzen.
Was gäben sie jetzt nicht für einen Tropfen Tau! Doch seit Jahren steigt die Temperatur auf dem Planeten immer schneller an. Der Frühling ist heiß, der Sommer unerträglich schwül, die Herbstzeit warm, und nur noch im Winter gibt es ein wenig Feuchtigkeit und Kälte.
Glücklicherweise kennen sie eine besondere Gangart, die sie den Ameisen der Stadt Yedi-bei-nakan abgeschaut haben. Man läuft auf nur vier Beinen. Auf diese Weise können sich jeweils zwei Beine von der Sonnenglut erholen, und nach einer Weile sind sie wieder voll einsatzfähig; dafür dürfen sich zwei andere etwas Ruhe gönnen.
Nr. 103, die sich stets für andere Arten interessiert, bewundert die Milben, die sich in dieser unwirtlichen Wüste durchaus wohl zu fühlen scheinen. Sie graben sich ein, wenn es besonders heiß ist, und kommen wieder zum Vorschein, wenn es kühler wird. Die Ameisen beschließen, es ihnen nachzumachen.
Sie sind für uns genauso winzig, wie wir es für die Finger sind, und trotzdem können wir von ihnen lernen, wie man in dieser Krisensituation überlebt.
Für Nr. 103 ist das ein weiterer Beweis, daß man weder größere noch kleinere Dimensionen unterschätzen darf.
Wir haben einen Platz irgendwo in der Mitte zwischen Milben und Fingern inne.
Ein roter vierflügliger Käfer läuft vor
Weitere Kostenlose Bücher
Die vierte Zeugin Online Lesen
von
Tanja u.a. Kinkel
,
Oliver Pötzsch
,
Martina André
,
Peter Prange
,
Titus Müller
,
Heike Koschyk
,
Lena Falkenhagen
,
Alf Leue
,
Caren Benedikt
,
Ulf Schiewe
,
Marlene Klaus
,
Katrin Burseg