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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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sie heran, berührte sie, strich mit den Fingern über die Spiegelplatten.
    Weil er glaubte, ein Geräusch aus dem Innern gehört zu haben, steckte er sein Notizbuch in die Tasche und preßte sein Ohr an den Spiegel. Stimmen! Gar kein Zweifel – in diesem seltsamen Bau befanden sich Menschen. Er lauschte aufmerksam, bis plötzlich ein Schuß fiel.
    Überrascht wich er etwas zurück. Meistens verließ er sich ausschließlich auf sein Sehvermögen, und was er nicht sehen konnte, war ihm nicht ganz geheuer. Trotzdem legte er nach kurzer Zeit sein Ohr erneut an die Spiegelplatte. Diesmal hörte er Schreie, quietschende Räder, Gepolter, klassische Musik, Pferdewiehern und das Knattern eines Maschinengewehrs.
     

47. DER GLÜCKSBOTE
     
    Die dreizehn Ameisen sind mit ihren Kräften völlig am Ende.
    Sie können sich nicht einmal mehr unterhalten, weil ihre Fühler ganz ausgedörrt sind.
    Nr. 103 bemerkt plötzlich eine Bewegung am Himmel. Ein Calopteryx, eine Seejungfer! Diese großen Libellen, die es seit Urzeiten gibt, haben für Ameisen eine ähnliche Bedeutung wie Möwen für verirrte Seeleute: Sie künden davon, daß es in der Nähe eine Vegetation gibt. Die Kundschafterinnen schöpfen neuen Mut. Sie reiben sich die Augen, um ihren Blick zu schärfen und der Libelle besser folgen zu können.
    Der Calopteryx fliegt jetzt so tief, daß er sie mit seinen vier geäderten Flügeln fast streift, und die Ameisen bewundern das majestätische Insekt. Die Seejungfer ist wirklich eine Meister-fliegerin. Sie kann nicht nur mitten im Flug stehenbleiben, sondern ist dank der vier voneinander unabhängigen Flügel sogar in der Lage, rückwärts zu fliegen.
    Der riesige Schatten verharrt über den Ameisen, fliegt weiter, macht kehrt, so als wollte er ihnen als Führer dienen. Ihr ruhiger Flug beweist, daß die Seejungfer nicht unter Flüssigkeitsmangel leidet.
    Die Ameisen folgen der Libelle. Sie spüren, daß die Luft endlich etwas frischer wird. Und dann sehen sie auf dem Gipfel eines kahlen Hügels einige Grashalme. Gras! Wo es Gras gibt, gibt es Saft, und Saft bedeutet Feuchtigkeit. Sie sind gerettet.
    Die dreizehn Ameisen rennen auf diese Insel des Glücks zu.
    Sie fressen die Gräser und einige winzige Insekten, die sich nicht wehren können. Hinter dem Hügel spüren ihre gierigen Fühler alle möglichen Blumen auf: Melisse, Narzissen, Primeln, Hyazinthen, Alpenveilchen. Es gibt auch Heidelbeeren, Holunder, Buchsbaum, Heckenrosen, Haselnußsträucher, Hagedorn und Kornelbäume. Das ist das reinste Paradies!
    Noch nie haben sie eine so üppige Region gesehen. Überall Früchte, Blumen, Kräuter und kleine Lebewesen, die der Ameisensäure nicht entrinnen können. Die Luft ist voller Pollen, der Boden voller Keime. Ein Überfluß sondergleichen.
    Die Ameisen schlemmen nach Herzenslust, füllen ihre Mägen und Kröpfe. Alles hat einen köstlichen Geschmack, wenn man zuvor völlig ausgehungert und fast verdurstet war.
    Sogar ein Löwenzahnsamenkorn ist ein Hochgenuß. Und erst der Tau auf den Blumen, dessen verschiedene Geschmacksnuancen sie bisher nie wahrgenommen haben.
    Nr. 5, 6 und 7 werfen sich aus Übermut Staubfäden zu, an denen man lecken und kauen kann. Sie wälzen sich in den Pollen eines Gänseblümchens, berauschen sich daran und machen eine Art Schneeballschlacht mit den gelben Kugeln.
    Sie essen, trinken, waschen sich, essen wieder, trinken wieder, waschen sich wieder. Schließlich legen sie sich ermattet ins Gras und genießen das Glück, noch am Leben zu sein. Sie haben die große nördliche Wüste durchquert, ohne Todesopfer beklagen zu müssen. Jetzt sind sie satt, zufrieden und zu einem Schwatz aufgelegt.
    Nr. 10 möchte, daß Nr. 103 ihnen noch mehr über die Finger erzählt, denn sie befürchtet, daß die alte Kundschafterin sterben könnte, ohne all ihre Geheimnisse preisgegeben zu haben.
    Nr. 103 berichtet von einer seltsamen Erfindung der Finger: dreifarbigen Leuchtfeuern. Diese Signale stellen sie an ihren Pisten auf, um Verkehrsbehinderungen zu vermeiden. Bei grünem Licht betreten alle Finger die Piste, und wenn es von orange in rot übergeht, bleiben alle regungslos stehen, so als wären sie tot.
    Nr. 5 meint, das wäre doch ein gutes Mittel, um das Eindringen der Finger in den Wald zu verhindern. Man brauche nur überall diese roten Signale aufzustellen. Aber Nr. 103 wendet ein, daß manche Finger diese Signale nicht beachten und einfach weiterlaufen. Folglich wird man sich etwas anderes einfallen

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