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Die Revolution der Ameisen

Die Revolution der Ameisen

Titel: Die Revolution der Ameisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Werber
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schwarzem Pulli. »Und das? Hast du das wahrgenommen?«
    schrie Gonzague.
    Vereinzeltes Gelächter im Saal. Jetzt verstand Julie noch besser, was die arme Deutschlehrerin tagtäglich durchmachte.
    Francine sah, daß die Situation in eine Katastrophe auszuarten drohte, und erhöhte vor ihrem Solo die Orgellautstärke. Danach leitete sie sofort zum dritten Lied über.
     
    3. PARADOXER SCHLAF
    »In uns allen schlummert ein Baby. Paradoxer Schlaf, unruhig …«
     
    Irgendwo hinten wurde die Tür ständig geöffnet und geschlossen. Nachzügler trafen ein, enttäuschte Zuhörer gingen. Das störte Julie gewaltig. Sie bemerkte, daß sie nur noch mechanisch weitersang, weil ihre ganze Aufmerksamkeit diesem Türenschlagen galt.
    »Pack ein, Julie! Pack ein!«
    Sie warf ihren Freunden einen verzweifelten Blick zu. Es war wirklich ein Fiasko. Alle waren so verstört, daß sie nicht mehr musizieren konnten. Narcisse verpatzte seine Akkorde und brachte auf der Gitarre Mißtöne hervor, weil seine Finger zitterten.
    Julie versuchte, ihre Umgebung zu ignorieren, und stimmte den Refrain an. Sie hatten gehofft, daß der ganze Saal im Rhythmus mitklatschen würde, aber jetzt traute das junge Mädchen sich nicht einmal, das Publikum dazu anzuregen.
    »In uns allen schlummert ein Baby.
    Paradoxer Schlaf …«
    In den ersten Reihen schliefen einige Rentner tatsächlich ein.
    »Paradoxer Schlaf«, wiederholte Julie lauter, um sie aufzuwecken.
    An dieser Stelle war ein Flötensolo vorgesehen, doch nach mehreren falschen Noten kürzte Léopold es lieber ab.
    Ein wahres Glück, daß der Journalist nicht hiergeblieben war.
    Julie drehte sich wieder hilfesuchend um. David nickte ihr aufmunternd zu und gab ihr ein Zeichen, daß sie das Publikum ignorieren und einfach weitersingen solle, nur für die Gruppe.
    » Wir alle sind Sieger, denn jeder von uns verdankt seine Existenz jedem Spermatozoon, das den Sieg über seine 300
    Millionen Konkurrenten davongetragen hat …«
    Gonzague und seine Schwarzen Ratten standen jetzt mit Bierdosen vor der Bühne und besprühten Julie mit dem stinkenden Schaum.
    Weitermachen! Weitermachen! gestikulierte Ji-woong. Echte Profis müssen auch mit solchen Situationen fertigwerden.
    Die Störenfriede waren jetzt völlig enthemmt. Sie setzten nicht nur Eier und Bier als Waffen ein, sondern auch Stinkbomben, und dabei brüllten sie unablässig: »Pack ein, Julie! Hau ab!«
    Aber sie schossen übers Ziel hinaus. »Laßt sie in Ruhe!«
    schrie ein kräftiges Mädchen, auf dessen T-Shirt ›Aikido-Club‹
    stand.
    »Haut ab!« geiferte Gonzague wieder und fügte ans Publikum gewandt hinzu: »Ihr seht doch selbst, daß das alles Nullen sind!«
    »Wenn es euch nicht gefällt, zwingt euch kein Mensch, zu bleiben«, entgegnete das Mädchen.
    Unerschrocken ging sie auf die Fanatiker zu, sichtlich zum Kampf bereit, und weitere Mädchen in Aikido-T-Shirts eilten ihr zu Hilfe. Auch andere Zuschauer sprangen auf, um das eine oder andere Lager zu unterstützen.
    Die jäh erwachten Pensionäre duckten sich auf ihren Sitzen.
    »Beruhigt euch! Ich bitte euch, so beruhigt euch doch!«
    flehte Julie.
    »Sing weiter!« befahl David.
    Julie beobachtete entsetzt die Prügelei. Die Musik heizte die Atmosphäre zusätzlich auf. Sie gab den Sieben Zwergen ein Zeichen, daß sie aufhören sollten, und gleich darauf war nur noch Kampfgeschrei zu hören. Stühle klappten hoch, weil ängstliche Zuschauer hastig den Saal verließen.
    Doch Julie wollte nicht aufgeben. Sie schloß die Augen, um sich besser konzentrieren zu können, und hielt sich die Ohren zu, während sie sich an Jankelewitschs Ratschläge zu erinnern versuchte.
    »Die Stimmbänder spielen beim Singen im Grunde keine große Rolle. Wenn du nur deinen Stimmbändern vertraust, wirst du nichts als ein unangenehmes Zirpen hören. Es ist dein Mund, der die Töne moduliert, der den Noten ihre Perfektion verleiht. Deine Lungen sind Blasebalge, deine Stimmbänder sind Schwingungsmembrane, deine Wangen sind ein Resonanzkörper, und deine Zunge ist ein Modulator. So, und jetzt ziel mit deinen Lippen und schieß!« Sie zielte und schoß.
    Eine einzelne Note. Ein B. Perfekt. Umfassend. Hart. Die Note breitete sich im ganzen Saal aus und wurde von den Wänden zurückgeworfen. Die Schallwelle von Julies ›B‹
    durchdrang sogar den Radau.
    Die Note war gewaltig. Viel größer als Julie selbst. Und in der Sphäre dieses ›B‹ fühlte sie sich geborgen. Ein Lächeln glitt über ihr Gesicht,

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