Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Richter des Königs (German Edition)

Die Richter des Königs (German Edition)

Titel: Die Richter des Königs (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Lessmann
Vom Netzwerk:
sich von dem Fährmann, dessen Barke er in Blackfriars bestiegen hatte, an der Anlegestelle absetzen. Zielstrebig betrat er das Innere der im Laufe von vier Jahrhunderten gewachsenen Gebäudemasse aus rotem Backstein, die dermaßen von verwinkelten Korridoren durchzogen war, dass sie einem Kaninchenbau ähnelte. Hier hielt Charles II. Hof. Es umringte ihn eine schillernde Menge von in Seide und Spitzen gekleideten, fluchenden, hurenden und speichelleckenden Höflingen, die heimlich ihre Intrigen spannen. Daneben begegnete man aber auch einfachen Landadeligen, Amtsträgern, Kaufleuten, uniformierten Gardisten und umherhuschenden Pagen.
    Unmittelbar am Themse-Ufer befanden sich die Küchen und Speisekammern, von denen köstliche Bratendüfte herüberwehten und den üblen Geruch der Kloaken überdeckten. Ein schmaler Gang führte an der Königlichen Kapelle und der Großen Halle vorbei und öffnete sich auf einen weitläufigen Hof. Durch das Holbeintor erreichte man ein unübersichtliches Labyrinth von Gängen, an denen die Gemächer der Höflinge lagen. Jeder Fremde hätte sich hier hoffnungslos verirrt. Doch Jeremy kannte den Weg zu den Räumen, die Lady St. Clair bewohnte.
    Obwohl sich der in einfaches Schwarz gekleidete Mann deutlich von den aufgeputzten Damen und bebänderten Galanen abhob, nahm niemand Notiz von ihm. Man hielt ihn für einen der geschäftigen Kaufleute, die bei ihren Kunden Bestellungen aufnahmen, oder einen Amtmann, der zu Chancellor Clarendon unterwegs war. Die Tür zu Amoret St. Clairs Gemächern stand offen. Jeremy trat ungeniert über die Schwelle, mitten hinein in ein buntes Durcheinander ausgebreiteter Proben verschiedener Seidenstoffe, Damaste, Brokate und Spitzen in allen Farben. Es war ein ungünstiger Zeitpunkt für einen unerwarteten Besuch, denn offenbar hatte die Lady ihre Schneiderin kommen lassen, um neue Kleider in Auftrag zu geben, während sie sich vor einem Toilettentisch aus poliertem Ebenholz frisieren ließ.
    Der Raum wurde beherrscht von einem prachtvoll verzierten Prunkbett mit vier Pfosten, die einen geschnitzten Baldachin stützten. Der goldgrüne Brokat der Draperien und Vorhänge war auf den dunkelgrünen Damast der Wandbespannung abgestimmt. Zwischen den Fenstern hing ein riesiger silberner Pfeilerspiegel, darunter stand ein passender Tisch. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Marmorkamin, dessen Sims von zwei Karyatiden getragen wurde.
    Als Jeremy sich ungezwungen näherte, bemerkte Amoret ihn aus dem Augenwinkel. Sofort breitete sich ein freudiges Lächeln über ihr Gesicht.
    »Ich bin untröstlich, Madame Franchette«, sagte sie auf Französisch, »aber wir müssen ein andermal weitermachen. Ich habe jetzt keine Zeit mehr. Das Gleiche gilt für Euch, Monsieur Marvier. Ihr werdet mich später fertig frisieren müssen.«
    »Aber, Madame, sagtet Ihr nicht, der König erwarte Euch in Kürze?«
    »Keine Widerrede! Kommt in einer halben Stunde zurück.«
    Der kleine Franzose verbeugte sich und verließ den Raum, gefolgt von den restlichen Dienstboten, die die Tür hinter sich zuzogen.
    »Ich kann Euch fertig frisieren, Madame, wenn Ihr es wünscht«, erbot sich Jeremy. »Ihr wisst, dass ich einmal Barbier-Chirurg war. Auch wenn sich die Mode seitdem um einiges geändert hat, weiß ich immer noch, wie man ein Brenneisen handhabt.«
    Er hatte aus Gewohnheit Französisch mit ihr gesprochen, wie es seit der Rückkehr des Königs auch am englischen Hof nichts Ungewöhnliches war. Die Höflinge, die das Exil mit ihm geteilt hatten, waren während ihres Aufenthalts auf dem Kontinent durch die französischen Sitten geprägt worden und hatten sie mit nach England gebracht. Dieser Umstand machte sie bei den Bürgern der Stadt nicht besonders beliebt.
    Ohne ihre Antwort abzuwarten, trat Jeremy an Amorets Seite und begann ihr Haar auf der linken Seite mit einem Schildpattkamm zu teilen. Es war ihm nicht peinlich, dass sie noch den Schlafrock trug, ein kleidähnlich geschnittenes Gewand mit weiten Ärmeln, das über einem mit Spitzen und Rüschen besetzten weißen Hemd getragen und vorne mit Brillantspangen zusammengehalten wurde. Es galt für eine Dame nicht als unschicklich, in diesem Kleidungsstück Besuch zu empfangen oder sich porträtieren zu lassen. Außerdem kannte er Amoret St. Clair seit ihrer Kindheit und hatte damals auf ihrer gemeinsamen Flucht aus England Tag und Nacht unter den widrigsten Umständen mit ihr verbracht. Seitdem war sie für ihn immer

Weitere Kostenlose Bücher