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Die Riesen vom Hungerturm

Die Riesen vom Hungerturm

Titel: Die Riesen vom Hungerturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Hoffmann
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zurückgeworfen hatte. Er war ein vom Volk geliebter und umjubelter König gewesen. Auch jetzt blickten die Ay zu ihm auf, als erwarteten sie Wunder von ihm.
    Er konnte ihnen nichts mehr geben – er, der binnen weniger Tage alles verloren hatte, was sein Herz einst mit Freude und Glück erfüllt hatte.
    Nun, so schien es, würde er auch noch sein Weib verlieren.
    Er warf sich über das Lager und vergrub seine Hände in der Königin wallendem dunklen Haar.
    »Sabri«, sagte er mit erstickter Stimme. »Sabri, geh nicht auch du von mir…«
    Sie hörte ihn nicht. Sie schluchzte auf und machte sich von ihm frei. Ihre Augen glänzten im Fieber.
*
    »… und so kam jeder von uns auf andere Art hierher«, schloß der Alte mit den eingefallenen Augen. »Das eine aber haben wir gemeinsam, Freund: Wir alle haben uns geweigert und werden uns bis in den Tod weigern, den Riesen Macht über uns zu geben. Wir schenken ihnen keine Pfänder. Denn lieber wollen wir elend sterben, als in diesem und allen folgenden Leben Sklaven der Dunkelmächte zu sein.«
    Luxon hatte schweigend zugehört. Er und jene, die sich noch bewegen konnten, saßen sich in einem Kreis gegenüber, in dessen Mitte die zerkleinerten Holzstücke glommen. Hin und wieder sprühten Funken oder sprang knisternd ein Scheit in zwei Teile. Das Holz ging bald zur Neige. Doch wenigstens für die Nacht spendete es den Verlorenen Wärme.
    Am Tag, so hatte Junan, der Alte, gesagt, drang etwas Licht durch den Spalt hoch über dem Tor, durch den die Riesen auch die Scheite geworfen hatten. Wenn ein Gefangener starb, mußte er von den Lebenden an Seile gebunden werden, die Ahok, Bened und Celen durch den Spalt in den Turm ließen. Sie zogen ihn dann heraus. Was mit den Verhungerten geschah, wußte niemand zu sagen. Doch konnte Junan berichten, daß die schrecklichen drei jedesmal in einen wahren Rausch verfielen.
    »Wir haben versucht, uns gegenseitig auf die Schultern zu steigen, um die Öffnung zu erreichen«, zerstörte Junan Luxons aufkeimende Hoffnungen. Er schüttelte den Kopf. »Es war umsonst. Hunderte von Spinnen hausen dort, die sofort alles angreifen, was ihnen zu nahe kommt. Ihr Biß ist tödlich.«
    Luxon nickte. Seine Vorsicht war überflüssig gewesen. Diese armen Menschen hier im Turm waren noch nicht soweit heruntergekommen, daß sie über Neulinge herfielen und sie töteten, um ihren furchtbaren Hunger mit ihrem Fleisch zu stillen. Nur Wasser gaben ihnen die Riesen, um ihre Qualen zu verlängern. Und jeden Tag kamen sie aufs neue, um nach den Pfändern zu fragen.
    »Was geschah mit jenen, die ihnen das gaben, was sie verlangten?« wollte Luxon wissen.
    »Niemand kann es sagen«, antwortete eine noch junge Frau, deren Wangen tief eingefallen waren. »Die Riesen ließen sie aus dem Turm heraus. Wir hörten ihr Gelächter und sonst nichts mehr.«
    »Wir hätten vielleicht die Wahl, unserer Wege ziehen zu dürfen oder hier zu sterben, Freund Arruf«, sagte Junan. »Doch selbst falls wir den Worten der Riesen Glauben schenkten, so würden wir zeitlebens wissen, welchem Opfer wir unsere Freiheit verdanken. Celen will von jedem von uns die Augen. Er will sie uns nicht aus den Höhlen schneiden, sondern nur über sie verfügen. Ahok will über unsere Herzen als Pfand, und Bened fordert unsere linken Arme.«
    »Ich habe bemerkt, daß keiner von ihnen ohne Makel ist«, überlegte Luxon laut. »Jedem fehlt etwas – Ahok ein fertiges Gesicht, Bened die Kraft im linken Arm, und Celen scheint nur Stroh im Kopf zu haben.«
    »Und doch verfügen sie über das, was ihnen die Narren gaben, die ihren Worten glaubten. Sag selbst, Arruf, müßten sie dann nicht ohne diese Makel sein? Und wenn sie es nicht sind, wem sonst als anderen können sie die Pfänder weitergeben?«
    Junan sprach das Wort »Dämonen« nicht laut aus. Doch alle, die sie hier ums Feuer saßen, glaubten daran, daß die Riesen Werkzeuge der Mächte aus der Schattenzone waren. So sehr glaubten sie dies und so groß war ihre Angst, sich an die Dämonen zu verkaufen, daß sie lieber dem qualvollen Ende hier im Hungerturm entgegensahen, als sich die trügerische Freiheit einzuhandeln.
    Es waren Männer und Frauen, die es aus verschiedenen Teilen der Lichtwelt hierher verschlagen hatte. Die meisten dürften Ays sein, doch sah Luxon auch Menschen von anderer Hautfarbe, die andere Dialekte sprachen. Allen gemeinsam war außer ihrem schrecklichen Los ein tief in ihren Seelen wohnender Aberglaube. Deshalb hatten sie

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