Die Riesen vom Hungerturm
Neugeborene blickte ihn aus Augen an, die nicht eines Kindes waren. Dryhon sah das Feuer in ihnen aufwallen und erkannte die Gefahr. Schnell riß er einen Streifen aus einem Laken und verband dem Kind die Augen.
»Du wirst keinen Schaden mehr anrichten«, flüsterte er.
Sodann schleifte er die Amme zum toten Magier und zog den Dolch aus seinem Rücken. Es war nicht sein eigener, sondern einer, den ihm Shadron überlassen hatte. Dryhon drückte der Amme die Klinge in die Hand. Auch sie würde sich später an nichts erinnern können.
Dryhon lächelte grausam, als er das Kind vom Lager nahm und mit ihm den Raum verließ, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß der Gang nach wie vor verlassen war.
Nambur öffnete ihm. Ohne ein Wort zu verlieren, stieg Dryhon aus dem Fenster. Unten war alles ruhig. Keine Wachen patrouillierten dort unten. Es galt als völlig undenkbar, daß Fremde die Palastmauern überwinden konnten.
Unten angekommen, winkte Dryhon dem Komplizen zu. Der Krieger zog das Seil ein und ließ es kurz darauf mit dem in dicke Tücher gewickelten Kind wieder herab. Dryhon nahm das Bündel in Empfang und verschwand in der Dunkelheit.
Haylogg aber schlich sich auf leisen Sohlen zu seiner Unterkunft zurück, ohne Spuren zu hinterlassen. Er war wieder ein Krieger unter vielen anderen.
Dryhon gelangte über die gleichen Schleichwege wieder aus dem Palast.
Auf halbem Wege zum Nordtor sah er den Feuerschein im Süden der Stadt. Viele Mannslängen hohe Flammen schlugen in den finsteren Himmel und erhellten die terrassenförmig an die Hänge gebauten, brennenden Häuser. Geschrei wurde laut. Dryhon mußte sich in eine dunkle Gasse zurückziehen und einen Trupp Krieger an sich vorbeiziehen lassen, bevor er seinen Weg fortsetzen konnte.
Glahad hatte gute Arbeit geleistet.
Zufrieden brachte Dryhon mit dem Kind das letzte Stück Weges hinter sich. Malag und Haylogg traten aus den Schatten der Mauer, als sie ihn sahen. Dryhon reichte Malag das Kind und gab ihm Anweisungen, als sie gemeinsam die Stadt verließen, um auf die draußen wartenden Vogelreiter zu stoßen.
»Opfere es den Dunklen Mächten! Besänftige den Zorn der Dämonen mit seinem Blut! Gib ihnen, was ihres ist!«
An einem Hang tauchten die Krieger des Shallad auf. Dryhon sagte auch ihnen noch einmal, was er von ihnen erwartete. Dann ließ er sich von ihnen schlagen, treten und Schnittwunden zufügen. Er spürte den Schmerz kaum. Seine Kleider waren zerrissen und blutverschmiert, als er die Krieger auf ihre Orhaken und Malag auf das bereitstehende Tokapi steigen sah.
Sie ritten davon, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen.
Dryhon wartete.
Noch war es zu früh, zur Stadt zurückzukehren.
Alle sollten ihn sehen, ihn, dem es gelungen war, aus der Gefangenschaft der Vogelreiter auszubrechen und sich mit letzter Kraft zum Nordtor zu schleppen.
Dryhpn lächelte böse.
»Nun kannst du zurückkehren, Alamog«, flüsterte er. »Auch du wirst nichts mehr ändern können.«
Dryhon weidete sich am Feuerschein über Tupan. Daß bei dem von Glahad auf sein Geheiß gelegten Brand Ays ums Leben gekommen sein mochten, berührte ihn wenig.
Als Tarakon an der Spitze seiner Männer das Stadttor erreichte, bot sich ihm ein Bild des Schreckens.
Die wachehabenden Krieger lagen zum Teil noch bewußtlos und mit schweren Verletzungen am Boden. Andere taumelten zwischen den Feuern umher und warfen neue Holzscheite in die Flammen. Wieder andere waren gerade dabei, das große Tor zu schließen und den Riegel wieder vorzuschieben.
Tarakon sprang aus dem Sattel seines Tokapis und packte den erstbesten Posten.
»Was ist geschehen?« fragte er heftig. »Rede schon!«
Nur stoßweiße konnte der völlig verstörte Ay ihm berichten, daß eine Handvoll Vogelreiter urplötzlich aufgetaucht und über die Wachen hergefallen sei. Zu allem Überfluß hätten sie Dryhon und einen weiteren Magier, Malag, gefesselt und geknebelt in ihrer Gewalt gehabt. Die Krieger wehrten sich tapfer, doch die Vogelreiter kämpften, als wären sie mit den Dämonen im Bunde.
»Weiter!«
»Ich weiß nicht mehr, was dann geschah«, beteuerte der Ay. »Ich wurde hinterrücks niedergeschlagen und… und kam zu mir, als von den Gegnern nichts mehr zu sehen war.« Er deutete mit einer verzweifelten Geste auf die Feuer, dann auf das Tor. »Die Feuer waren niedergebrannt, also muß viel Zeit verstrichen sein. Und das Tor war offen. Die Vogelreiter haben die beiden Magier entführt.«
Kein Muskel
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