Die Ringe der Macht
hatten begriffen, dass die Untererde ihnen auf Dauer verschlossen bleiben würde.
Die Bolgs stürmten laut brüllend aus dem Wald. Kim stockte der Atem, als er sah, dass ein Kontingent schwere Reiterei unter den Heranstürmenden war. Das konnte nur eines bedeuten: Das zweite Heer der Dunkelelben hatte den Elder überschritten und war bereit, in den Kampf einzutreten.
Dieser Übermacht waren sie nicht gewachsen, zumal das Drachenfeuer Opfer in unbekannter Zahl gefordert hatte. Unter dem Ansturm der Bolgs wankten die Reihen der Zwerge und der Ffolkswehr wie Kornhalme im Wind.
Kim rannte den Hügel hinunter. Er dachte nicht einmal darüber nach, was er tat. Seine Freunde waren dort unten, und sie starben. Der Mut der Verzweiflung trieb ihn an, jene Kraft, die ihn so oft in den letzten Tagen zu Taten getrieben hatte, die man begeht, ohne lange zu überlegen, ob sie sinnvoll sind oder nicht.
Hatte Kim bisher angenommen, dass die Bolgs ohne Rücksicht auf Verluste vorangetrieben worden waren, so hatte er sich getäuscht. Jetzt konnte er es sehen. Die Bolgs fochten selbst dann noch weiter, wenn tödliche Verletzungen ihren Leib aufgerissen hatten.
Der junge Ffolksmann sah einen Kopflosen, der noch die Axt gegen seinen Gegner hob, bevor er zusammenbrach. Einem anderen hingen die Gedärme aus dem Leib, aber noch sterbend schwang er sein Schwert und streckte zwei Zwerge nieder.
Die Bolgs waren von völliger Raserei gepackt. Sie warfen sich gegen die Reihen der Zwerge und der Ffolksmänner, um sie niederzumachen. Und die Dunkelelben, die sich seit dem Fall der Ritter an den Ufern des Elder gesammelt hatten, griffen nun auch wieder in den Kampf ein. Das Feld vor dem Tor war offen, und die Angriffe ihrer Reiterei an der Hanke waren wirkungsvoll, weil die Pikeniere zerstreut und die Reihen der Zwerge ungeordnet waren, seit der Drache seine Kreise gezogen hatte. Das zweite Heer brachte zusätzlich frische Einheiten in den Kampf.
Ganz gleich, was aus uns wird, dachte Kim fatalistisch, wir haben gesiegt. Sie kommen nicht in die Untererde.
Aber wenn das ein Sieg war, dann wollte er keine Niederlage kennen lernen …
Unter hohem Blutzoll wurde das Heer der Zwerge und der Ffolksleute Schritt für Schritt zurückgedrängt, dem Tor entgegen. Kim der sich in der zweiten Reihe wiederfand, kam auf der rutschigen durchweichten Erde zu Fall. Er blickte zurück. Gregorin, Gwrgi und die Gnome schwebten zusammen den Hang hinunter. Der faszinierende Anblick ließ ihn für einen Augenblick sogar die ringsum tobende Schlacht vergessen.
Dann spürte Kim einen starken Griff am Oberarm. »Hier spielt die Musik«, sagte Burins vertraute Stimme. »Was da hinten geschieht, geht uns nichts an.«
Noch während der Zwerg sprach, fühlte Kim sich nach vorn gerissen. Keinen Augenblick zu früh, denn er spürte noch den Luftzug einer Axt und hörte, wie das Blatt mit einem dumpfen Laut in den Boden fuhr.
Kim warf sich herum und wollte weiterkämpfen, doch die Kampfeslust, die ihn in die Schlacht getrieben hatte, war plötzlich vergangen. Überall waren Tote; viele Bolgs und Dunkelelben, aber noch mehr Zwerge und Männer aus dem Ffolk lagen verstreut auf dem Schlachtfeld. Er fühlte sich seltsam entrückt, als er sich wieder in die Schlachtreihe eingliederte, die dem wie von Sinnen vorstürmenden Feind Einhalt gebieten wollte; es war, als ginge ihn das alles nichts mehr an. Ist das die Gelassenheit, dachte er bei sich, die vor dem Tode kommt? Denn es war offensichtlich für jeden, dass bei Einbruch der Dunkelheit nichts mehr von ihnen übrigbleiben würde – kein Zwerg, kein Ffolksmann, nicht einmal ein Gnom. Die Dunkelelben mochten ihr Ziel zwar verfehlt haben, aber ihre Rache würde vollkommen sein.
Was würden sie danach in ihrer Raserei tun, fragte sich Kim. Und er wusste die Antwort. Erst würden sie Gurick-auf-den-Höhen und dann ganz Elderland verheeren. Anschließend würde dann der Sturm auf das Reich der Menschen folgen, sodass sie zumindest die Mittelreiche erobern würden. Aber das Ffolk würde diesen Augenblick nicht mehr erleben, ebenso wenig wie seine Gefährten und die Zwerge der Untererde.
Fast beneidete Kim Gilfalas, der schon in Zarakthrôr gefallen war. Er hatte dieses Wechselbad zwischen Triumph, Niederlage, Sieg und totaler Vernichtung nicht erleben müssen.
Und dann? Würde die Untererde auf Dauer vor ihnen sicher sein – und die Überwelt? Was war mit den Ringen, die sie trugen – Fabian und Burin, Gregorin und Gwrgi –
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