Die Ringe der Macht
denen sich Blattwerk rankte, dicht gewachsen, durchbrochen von hauchdünnen Schleiern aus Spinnenseide, die in allen Schattierungen des Regenbogens schillerten. Man glaubte, ein plötzlicher Windstoß müsse ein solches Haus hinwegfegen, so ätherisch leicht wirkte es. Doch das Holzgerüst war fest gefügt, und wenn die Teilungen im Inneren auch nur aus Stoffbahnen gefertigt waren – gewirkt in allen Farben des Himmels und der Erde, mit Mustern von Vögeln und Pflanzen, aufragenden Bäumen und hohen Bergen, von Sonne und Mond bestrahlt und von den Elbensternen, sich in einem immerwährenden Rapport wiederholend –, so ergänzten sich hier doch Natur und Kunst auf das Wunderbarste, dass man nicht wusste, wo die eine aufhörte und die andere begann.
Ja, Gilfalas hatte den Eindruck, als sei dies alles nicht von kunstfertiger Hand geschaffen, sondern ins Sein gesungen worden und selbst Teil eines Liedes, dessen Akkorde noch in den Streben summten und in jeder Bewegung der Paravente nachhallten, niemals vollendet und doch vollkommen, so wie ein Baum, eine Pflanze, ein jedes lebende Wesen vollkommen ist. Und wenn er an die kunstreichen Schnitzereien seiner Heimat dachte, jene behutsamen Versuche, in langen Jahren die Essenz des Lebens aus dem Holz herauszuschälen, so erschienen ihm solche Errungenschaften tot gegenüber der lebendigen Architektur der Elben der Überwelt.
Und doch war ihm dies alles nicht fremd; denn er erkannte darin manche Züge der Höfe und Paläste, in denen er selbst aufgewachsen war. Nur war hier alles feiner, filigraner, als wäre es nicht auf Dauer, sondern nur für den Augenblick errichtet. Diese Hütten würden auch nie den Unbillen des Winters trotzen müssen, in einer Welt, in der ewig Frühling herrschte. Es war, gemessen an den Maßstäben der Mittelreiche, alles ein wenig zu schön, um wirklich wahr zu sein.
Es war dunkel geworden, und so wunderbar der Ritt auch gewesen sein mochte, Gilfalas spürte die Anstrengung mehr als deutlich. Sein edles Hinterteil – wie jener unmögliche Zwerg, Burin, es ausgedrückt hätte – hatte auf dem Pferd doch sehr gelitten. Dort, wo er herkam, kam man schneller voran, wenn man sich auf die eigenen Beine verließ. Er hatte zwar Reiten gelernt, doch er war nicht mit einem Pferderücken verwachsen wie die Menschen der Steppe im Osten oder der weiträumigen Tiefländer und Wüsten des Südens … Gilfalas stellte fest, dass er schon wieder in Begriffen der Mittelreiche dachte.
Der Empfang im Dorf war freundlich. Selbst als die Elben hörten, was am Abend zuvor geschehen war, erntete Gilfalas keinen Vorwurf; aber auch über die tote Elbin wurde kein Wort verloren.
Selbst als Gilfalas von der Bedrohung der Mittelreiche erzählte, gab es keine Aufregung unter den Anwesenden; alle waren sich sicher, dass die Überwelt von diesen Dingen unberührt bleiben würde, sicher im Schutz des Hohen Elbenfürsten. Man ging einfach darüber hinweg, als gäbe es keine Sorgen um andere – und um die Zukunft.
Gilfalas begann allmählich die Nachteile des allzu behüteten Lebens in der Überwelt zu sehen. Insgeheim gestand er sich ein, dass auch die Waldelben des Naith Talarin sich wenig um das scherten, was außerhalb ihres Waldes vorging, aber immerhin nahmen sie Anteil daran, wenn es wirklich ernst wurde.
Früh zog er sich zurück, teils aufgrund seiner Erschöpfung, teils, um sich nicht noch mehr ärgern zu müssen. Die Gespräche waren alle so belanglos, so unbekümmert. Aber seit den Schattenkriegen, als der Hohe Fürst mit einer Armee in die Kämpfe gegen die Dunkelelben eingegriffen und auch seinen Teil dazu beigetragen hatte, die Dunklen Brüder hinter den Gürtel zu verbannen, gab es nichts, was den Elben der Überwelt Sorgen bereitet hätte.
Es gab immer genug zu essen. Das Wild war zahlreich. Schösslinge und junge Pflanzen waren fast ständig zu ernten. Es war ein Land ohne Herausforderung, das wie ein göttlicher Garten zum sorgenfreien Leben einlud.
Gilfalas empfand fast Mitleid für diese Wesen; denn ein Leben ohne Sorgen und Nöte, so schwer diese auch auf den Schultern lasten mochten, war nur ein halbes Leben. Denn machten nicht tragische und schwere Zeiten erst empfänglich für Glück und Freude? Die Elben hier wussten gar nicht zu schätzen, wie gut es ihnen ging. Und daraus erwuchs ihre oberflächliche, fast fahrlässige Art, mit dem Glück umzugehen.
Diese Gedanken verfolgten ihn noch bis tief in die Nacht hinein, aber der Wind, der in den
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