Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
stillen Einverständnis der anderen eine Holzpritsche und Bettzeug gebracht.
»Dima, bist du’s?«, hauchte er mit bebender Stimme.
»Ja, hab keine Angst«, erwiderte ich mit einem Anflug von Mitleid.
»Ich habe überhaupt keine Angst«, sagte Maljok trotzig und schlappte zur Tür. Durch den Schlitz drang ein kaum spürbarer Lufthauch.
»Hasst du mich, Dima?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete ich unschlüssig.
»Dann verachtest du mich?« In Maljoks Stimme schwang leise Hoffnung mit.
»Ja.« Diesmal war ich mir sicher.
Nach kurzem Schweigen raschelte etwas, und Maljoks Kopf näherte sich dem Türschlitz.
»Dima, wenn es dir nicht zuwider ist, nimm meine Hand.«
Irritiert legte ich meine Hand auf seine Finger, die er durch den Schlitz gesteckt hatte.
»Danke«, flüsterte er. »Hör zu, wenn jemand vorschlagen sollte, mich aus dem Turm zu befreien, oder wenn ich selbst darum bitten sollte, lass das auf keinen Fall zu.«
Anstatt zu antworten, nickte ich nur flüchtig und würgte an einem Kloß in meinem Hals.
»Denk nicht schlecht über mich. Ich wollte wirklich nur nach Hause. Das war nicht fair von mir, ich weiß. Aber mein Heimweh war stärker als alles andere. Zu Anfang haben diese Außerirdischen ja auch nichts Schlimmes von mir verlangt. Ich sollte ihnen nur berichten, was in der Burg vor sich ging.«
»Sie bekommen also rein gar nichts von dem mit, was wir hier drinnen tun oder reden?«
»Nein. Und da ist noch etwas: Sie können uns auch nicht unterscheiden. Sogar Mädchen und Jungen verwechseln sie dauernd. Nur an der Größe können sie sich halbwegs orientieren. Zum Beispiel könnten sie dich von Chris unterscheiden. Aber mit Meloman oder Tolik würden
sie dich glatt verwechseln. Wahrscheinlich sind das überhaupt keine Menschen, sondern womöglich Spinnen oder Kröten.«
Meine Eingeweide krampften sich zusammen, und eiskalter Schweiß trat mir auf die Stirn. Auf meinem Rücken fühlte ich einen schweren Blick lasten. Einen Krötenblick … oder einen Spinnenblick.
»Hast du denn wirklich keine Angst in diesem Loch?«, fragte ich.
Maljok dachte lange nach, dann hauchte er: »Doch. Vor allem nachts. Ich weiß, dass sie mir nie verzeihen werden.«
»Soll ich vielleicht mal mit den anderen reden?«
»Nein!«, erwiderte er scharf. »Hast du schon vergessen, worum ich dich gerade gebeten habe?«
Instinktiv tastete ich nach dem Eisenriegel des Schlosses und zog meine Hand von der Maljoks zurück.
»Gut. Ich habe verstanden«, sagte ich. »Du traust dir selbst nicht über den Weg.«
»So ist es.« Maljok zog ebenfalls seine Hand aus dem Spalt. »Und noch etwas, Dima«, fuhr er fort. »Darüber habe ich bis jetzt nicht gesprochen, weil ich dachte, dass es nicht wichtig ist. Die Außerirdischen waren immer sehr erpicht darauf, zu erfahren, wer mit wem befreundet ist, besonders wenn es sich um ein Mädchen und einen Jungen handelte. Das interessiert sie brennend, keine Ahnung, warum. Sie wollten unbedingt wissen, warum jemand für einen anderen ein Risiko eingeht. Zum Beispiel haben sie mich gefragt, warum die anderen Jungen im Kampf ihr Leben für mich riskieren. Weil wir Freunde sind, habe ich ihnen geantwortet. Daraufhin wollten sie, dass ich ihnen erkläre, was Freundschaft ist.«
»Und? Hast du’s ihnen erklärt?«
»Nein, ich konnte es nicht erklären.«
»Verstehe, du wolltest dir lieber keine Gedanken darüber machen.«
Maljok schwieg.
»Na gut. Schlaf jetzt«, sagte ich und entfernte mich von der Kerkertür.
»Ich versuch’s«, rief mir Maljok leise hinterher und fügte mit ernster Stimme hinzu: »Und richte Chris aus, er soll nicht vergessen, dass es auf allen Inseln Beobachter gibt. Auch auf denen, mit denen wir uns verbündet haben.«
Der Morgen auf der Insel Nr. 36 begann neuerdings immer mit einer Trainingseinheit. Noch bevor die Sonne über den Horizont lugte, jagte Chris die gesamte Mannschaft vor die Burg hinaus.
Im fahlen Dämmerlicht fanden sich am Sandstrand fast apathisch wirkende Gestalten ein, denen der Schlaf noch im Gesicht stand. Widerwillig stellten sie sich zu Trainingspärchen zusammen und begannen, leidenschaftslos und träge mit ihren Holzschwertern aufeinander einzuprügeln. Erst allmählich wurden ihre Bewegungen flinker, und das Klappern der aufeinanderschlagenden Holzwaffen wurde lauter. Hin und wieder kam es vor, dass sich ein stählernes Klirren in das dumpfe Gehämmer mischte. Die übereifrigen Duellanten brachen das Training dann sofort ab
Weitere Kostenlose Bücher