Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
Verteidiger waren nun einer weniger.
Um die momentane Konfusion beim Feind auszunutzen, stürmten nun auch Chris, Tolik und Janusch wieder nach vorn, wobei sie sich beinahe gegenseitig umgerannt hätten. Sekunden später sank der nächste Gegner zu Boden. Dem dritten, der uns vor dem Gefecht noch so tapfer die Stirn geboten hatte, schlug Timur mit einem gewaltigen Hieb das Schwert aus der Hand.
»Ich … ich ergebe mich!«, schrie er verzweifelt.
»Wir machen keine Gefangenen«, gab Timur eiskalt zurück.
Leise säuselnd zerschnitt Timurs Klinge die Luft, bevor sie mit einem grauenhaften Schmatzen ihr Ziel traf.
Taumelnd kehrte Tom aus der Kampfzone zurück. Sein Gesicht war kalkweiß, seine Lippen zitterten, und seine Augen stierten ins Leere. Aufmunternd gab ich ihm einen Klaps auf die Schulter, schließlich war doch alles gut gegangen. Tom schüttelte nur den Kopf und marschierte wie ferngesteuert die Brücke hinunter zurück zur Burg.
Langsam rückwärtsgehend, fasste der letzte Kämpfer der Nr. 30 das Schwert mit beiden Händen, während sein panischer Blick abwechselnd auf Chris und Timur fiel, die entschlossen auf ihn zugingen.
»Lasst mich … Ich … ich erledige das selbst … Ich will
nach Hause«, stammelte er leise und rammte sich im nächsten Moment sein Schwert in den Bauch.
Wir erstarrten, und bleierne Stille legte sich über die Brücke. Nur das sanfte Rauschen des Meeres untermalte die schauerliche Szenerie. Mit aus den Höhlen tretenden Augen starrte der Junge auf die Klinge in seinem Bauch.
Erst als er zu Boden sank, begriff ich, was geschehen war: Auf manchen Inseln herrschte der Glaube, dass derjenige Teilnehmer des Spiels, der sich in einer ausweglosen Situation selbst tötet, auf die Erde zurückkehrt.
»Warum hast du gesagt, dass wir keine Gefangenen machen?«, platzte Meloman in die Stille hinein. »Nur deswegen hat er das getan!«
»Das habe ich doch nicht zu dem hier gesagt«, verteidigte sich Timur, »sondern zu dem anderen. Und den habe ich erkannt: Es war das Schwein, das den Pfeil auf Kostja abgeschossen hat.«
Hinter mir hörte ich Inga leise weinen und ging zu ihr.
»Dima, warum habt ihr das getan? … Warum?«, fragte sie und sah mich vorwurfsvoll an.
Verärgert zuckte ich mit den Achseln. Immerhin hatte nicht ich die vier Jungen umgebracht, die sich im Übrigen ja selbst für den Kampf entschieden hatten. Außerdem hatte Inga ganz genau gewusst, dass es heute auf der Brücke kein Spaziergang werden würde, als sie uns am Morgen überredete, sie mitzunehmen.
So ist es immer mit den Mädchen, selbst mit den allerklügsten: Zuerst setzen sie mit allen Mitteln ihren Willen durch, und hinterher darf man sich dann noch Vorwürfe anhören. Offenbar stellen sie sich alles immer viel romantischer vor, als es in Wirklichkeit ist.
»Jetzt werft sie doch endlich ins Meer«, rief Tolik. »Was stehen wir hier herum?«
»Wirf sie doch selbst runter«, giftete Sershan.
»Mache ich auch!«, erwiderte Tolik zornig und machte sich ans Werk.
Inga schloss die Augen. Mit einem Mal verstand ich, dass sie recht hatte. Nicht dass wir Jungen im Unrecht gewesen wären, aber in diesem Moment trafen zwei Wahrheiten aufeinander - und eine jede hatte ihre Berechtigung. Es hätte keinen Sinn gehabt, deswegen mit Inga zu streiten.
»Inga, ich kann es doch auch nicht ändern«, sagte ich schuldbewusst. »Es bleibt uns doch nichts anderes übrig. Vielleicht ist es am besten, wenn du mit Tom zur Burg zurückgehst.«
Sie nickte, ohne die Augen zu öffnen, drehte sich um und ging zögerlich los. Von unten blendeten mich plötzlich Lichtblitze, die sogar das Sonnenlicht überstrahlten: einer … zwei, drei, vier Lichtblitze.
Mit zusammengekniffenen Lidern blickte ich Inga hinterher, die nun im Laufschritt zu Tom aufschloss. Vor meinen Augen schwammen immer noch bunte Kreise.
»Dima, wir müssen weiter!«, rief Tolik.
Als ich mich umwandte, sah ich, dass meine Gefährten auf der anderen Seite schon etwa hundert Meter hinuntergelaufen waren. Nur diese wenigen Meter trennten mich von ihnen - und einige rote Lachen auf dem rosa Marmor. Ohne auf den Boden zu sehen, lief ich ihnen nach.
Etwas in mir war zerbrochen.
Als wir den verbliebenen Verteidigern der Nr. 30, in
zwei Gruppen aufgeteilt, in den Rücken fielen, legte ich mich ins Zeug wie alle anderen auch. Und nachdem wir die Brücken von Feinden gesäubert hatten, lachte ich genauso aufgedreht wie alle anderen. Schließlich drängten wir
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