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Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov

Titel: Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sergej Lukianenko
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Und als meine streunenden Gedanken endlich zerfaserten und in der Bewusstlosigkeit des Schlafes zu versinken begannen, hörte ich plötzlich einen Schrei.
    Es war ein schwacher, kurzer, aber völlig realer Schrei. Schlagartig war ich wieder hellwach geworden, setzte mich langsam auf und horchte: erneut Stille. Ohne eine Kerze anzuzünden, tastete ich nach meinem Schwert und zog es aus der Scheide. Der Schrei war aus dem Nachbarraum gekommen, wo Tom schlief, dessen war ich mir absolut sicher.
    Geräuschlos drückte ich die Klinke meiner Tür und schlüpfte in den Gang hinaus, wo es noch dunkler war als in meiner Kammer. Mit der Linken an der Wand entlang tastend, in der Rechten das Schwert, schlich ich zu Toms Schlafkammer, drückte die Klinke und ließ die Tür langsam aufschwingen.
    Im Raum flackerte ein schwaches gelbliches Licht. Tom hatte die Kerze nicht ausgemacht. Normalerweise handelte man sich damit Ärger ein, aber in diesem Fall war ich dankbar für seine Sorglosigkeit. Der kleine Australier lag in Seitenlage auf seinem Bett, die Decke lag auf dem Boden. Er schien ganz friedlich zu schlafen, sein gleichmäßiger, tiefer Atem war gut zu hören.
    »Tom, hast du was geträumt?«, flüsterte ich.

    Er schwieg. Als ich näher herantrat, sah ich, dass seine Augen weit aufgerissen waren und sich seine Lippen geräuschlos bewegten. In seinen schwarzen, riesigen Pupillen spiegelte sich die im schwachen Luftzug züngelnde Flamme der Kerze.
    »Tom?«
    Ein Lächeln spielte um seinen Mund. In sich versunken, lächelte er über etwas, das mir verborgen blieb. Mit einem Mal wurde mir klar, dass man ihn in diesem Moment stoßen, zupfen oder schlagen hätte können, er wäre davon nicht aufgewacht. Der Schlaf, den er schlief, war kein gewöhnlicher.
    Die Tasche, mit der Tom auf der Insel gelandet war, lag neben seiner Decke auf dem Boden. Sie enthielt nichts Interessantes mehr. Die Bücher, Hefte, Stifte und der primitive Taschenrechner waren längst ins Gemeinschaftseigentum übergegangen. Nur die Pistole hatte er bis zu unserer Schiffsreise erfolgreich versteckt. Eine vernünftige Erklärung dafür, wie er auf der Erde an die Pistole gekommen war, hatte er uns bis zuletzt vorenthalten.
    Zerstreut hob ich die Tasche auf und wog sie in der Hand. Für eine dünne Stofftasche fand ich sie bemerkenswert schwer.
    Es ging mich ja eigentlich nichts an, doch meine Neugier obsiegte. Schon beim ersten Ruck riss das hellblaue Innenfutter auf, und zwar genau an der Stelle, an der die starke Maschinennaht durch eine von Hand genähte Zickzacknaht ersetzt worden war. Aus dem Zwischenraum fielen kleine, durchsichtige Plastikbriefchen heraus, in die ein mehlfeines, weißes Pulver eingeschweißt war.

    Kopfschüttelnd legte ich die Briefchen in die Tasche zurück. Das weiße Pulver knirschte, wenn man es in den Plastikbeutelchen zusammendrückte, es musste extrem trocken sein. Ich fragte mich, wozu es gedacht war, zum Einnehmen, Schnupfen oder Spritzen. Letzteres war eher unwahrscheinlich, denn Tom besaß keine Spritze. Ich hob die Decke vom Boden auf und deckte den in rauschhaften Träumen Versunkenen damit zu.
    Dann ging ich zu Chris.
     
    Am nächsten Morgen war Tom merklich nervös, nahm aber ansonsten wie immer an unserer Morgenroutine teil. Chris teilte mit ungerührter Miene die Brückenwachen ein. Als er an mir vorbeiging, zwinkerte er mir komplizenhaft zu. Der Australier schien hin- und hergerissen, ob er den Kommandeur von sich aus ansprechen sollte. Schließlich gab er sich einen Ruck und ging zu ihm.
    Chris ließ ihn überhaupt nicht zu Wort kommen.
    »Hast du öfter Drogen genommen?«, fragte er ihn auf Russisch.
    Tom schüttelte den Kopf.
    »Sehr gut, dann hast du ja sicher kein Problem damit, dass dein Vorrat jetzt im Meer schwimmt.«
    Tom hatte verstanden. Seine Lippen bebten. Dann begann er auf Englisch zu reden, aber so schnell, dass ich kein Wort verstand. Chris antwortete ihm ebenso unverständlich in seiner Muttersprache.
    »Auf der Erde war er ein Dealer«, sagte Chris schließlich zu mir, nachdem Tom sich entfernt hatte. »Genauer gesagt, er hat die Drogen an Pusher weitergegeben, also an Dealer in den Schulen. Jetzt hat er Angst, dass seine
Auftraggeber das Geld für die verlorene Ware von ihm einfordern, wenn er auf die Erde zurückkehrt.«
    »Und, hast du ihn beruhigt?«, fragte ich und blickte Tom hinterher, der mit Tolik die Südbrücke hinaufmarschierte.
    »Natürlich«, erwiderte Chris. »Ich habe ihm gesagt,

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