Die Ritter der vierzig Inseln - Rycari Soroka Ostrovov
der Brücke oben entflammte ein riesiger Feuerball, aus dem in alle Richtungen Trümmerteile in die Luft schossen. Unter dem gewaltigen Donnerhall, der in Wellen über uns hinwegrollte, duckten wir uns zusammen, als würden die Marmorbrocken, die mit Getöse ins Meer fielen, direkt auf uns herabregnen.
Die Brücke geriet ins Schwingen, und zwar so heftig,
dass wir selbst hier unten das Gleichgewicht verloren und durcheinanderpurzelten. Als ich mich auf allen vieren hochrappelte, konnte ich gerade noch sehen, wie ein riesiger Marmorbrocken mit einem dumpfen Klatschen ins Meer stürzte und im selben Moment eine gewaltige Wasserfontäne in die Höhe stach. Die Außerirdischen vernichteten alles, was ins Meer fiel - eine Ausnahme machten sie nur für die Brücken selbst.
Wir hatten die Sprengkraft der unscheinbaren Dynamitstangen gewaltig unterschätzt. Die Hälfte davon hätte für die Sprengung leicht gereicht. Langsam pendelten die gegenläufig schwingenden Brückenhälften sich aus.
»Hilfe!«, schrie jemand verzweifelt.
Es war Iljas Stimme. Erschrocken blickte ich mich um. Offenbar war er übers Geländer gestolpert, als der Boden unter unseren Füßen zu beben begonnen hatte. Jetzt hing er über dem Wasser und hielt sich mit beiden Händen an einer Säule der Balustrade fest.
Auf den ersten Blick sah die Situation gar nicht so gefährlich aus, da die Brücke in diesem Bereich nur etwa fünf oder sechs Meter über das Meer ragte. Und welcher Junge wäre nicht schon einmal im Schwimmbad vom Fünfmeterturm gesprungen?
Leider befanden wir uns aber nicht im Schwimmbad, und wenn Ilja jetzt losließ, würde er nicht vom Fünfmeterturm, sondern von der Brücke stürzen. Und Stürze von der Brücke endeten auf den Inseln immer gleich, egal ob man aus hundert oder fünf Metern Höhe fiel.
Chris war als Erster bei Ilja. Er beugte sich über die Balustrade, packte ihn am Arm und zog ihn auf die Brücke zurück. Merkwürdigerweise sah Iljas Gesicht auf einmal verändert aus, irgendwie jünger.
Mit den Augen blinzelnd sah er sich verwirrt um. »Scheiße, meine Brille ist runtergefallen!«, fluchte er entsetzt. »Was soll ich denn jetzt machen?«
Chris zuckte mit den Achseln.
»Hauptsache, dir ist selbst nichts passiert«, beschwichtigte Tolik.
Ilja nickte und verzog das Gesicht. Er sah aus, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen. Stattdessen fragte er: »Was ist mit der Brücke? Ich sehe nichts.«
»Die ist hinüber«, sagte Timur und grinste zufrieden.
Die beiden Brückenhälften waren nun durch einen etwa zwanzig Meter breiten Zwischenraum getrennt, in dem noch einige dicke Rauchschwaden waberten. Auf dieser Brücke war das Große Spiel zu Ende.
»Und wie geht’s jetzt weiter?«, fragte Ilja.
Niemand antwortete.
9
WINTEREINBRUCH
Am nächsten Morgen weckte mich eine innere Rastlosigkeit. Das kam häufiger vor, auf der Insel wurde man in aller Regel aus dem Schlaf gerissen, bevor man richtig ausgeschlafen hatte. Am gestrigen Abend hatten wir noch lange zusammengesessen, innerlich aufgewühlt von unserer erfolgreichen Sabotageaktion. Erst gegen zwei Uhr nachts hatte Chris alle ins Bett geschickt.
Schlaftrunken hob ich den Kopf und spähte zum Fenster. Es war schon überraschend hell draußen, und die Brücken mussten sich längst zusammengeschoben haben. Warum hatte mich bloß keiner zur Wache gerufen?
Mit einem Satz sprang ich aus dem Bett und begann mich hastig anzuziehen. Womöglich hatte Chris beschlossen, mit weniger Kämpfern auszurücken, jetzt da die Westbrücke nicht mehr bewacht werden musste. Aber warum wurde die unerwartete Verschnaufpause ausgerechnet mir verordnet und nicht Ilja oder dem vor Kurzem verwundeten Meloman? Irgendwie kränkte mich das in meiner Ehre.
Während ich in die Schuhe schlüpfte und das Schwert hastig am Gürtel befestigte, beschloss ich, der Sache unverzüglich auf den Grund zu gehen.
Irgendetwas stimmte nicht.
Mich auf der Stelle drehend, sah ich mich in meiner wohlbekannten Kammer um. Dann trat ich zum Fenster:
nichts Besonderes. Das glatte Meer schimmerte schwach im Morgenlicht, der Himmel darüber war grau und trüb. Ich hob den Kopf und schnupperte. Mir war, als läge etwas Alarmierendes in der Luft, doch ich konnte nur den gewohnten, ein wenig aseptischen Geruch des Meeres wahrnehmen.
Ein leichter Schauer durchfuhr mich, nicht vor Angst, sondern vor Kälte. Normalerweise wurde mir immer schnell warm, nachdem ich mich morgens angezogen hatte, selbst wenn
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