Die Ritter des Nordens
das vielleicht ausdrücken.«
»Dann seid Ihr doch sicherlich froh darüber, dass er endlich weg ist.«
Offen gestanden waren meine Gefühle zwiespältig. Einerseits war mir der Mann zwar nicht sympathisch, andererseits waren wir dringend auf seine Truppen angewiesen, und so stellte uns sein überstürzter Abzug vor erhebliche Probleme. Er hatte nämlich rund die Hälfte seiner Ritter und Fußtruppen mitgenommen, insgesamt fast vierhundert Mann. Vierhundert Mann, die wir unbedingt gebraucht hätten.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich, und das entsprach tatsächlich der Wahrheit. »Ich traue ihm zwar nicht über den Weg. Aber wie sollen wir Scrobbesburh ohne seine Leute überhaupt verteidigen?«
»Es heißt, dass auch einige andere Lords mit dem Gedanken spielen abzuziehen. Seit der Wolf abgezogen ist, um seine eigenen Besitzungen zu verteidigen, denken viele daran, seinem Beispiel zu folgen.«
Ich schnaubte verächtlich und schüttelte den Kopf. Alles schien sich gegen uns verschworen zu haben. Das schöne Königreich, das wir in den vergangenen vier Jahren unter Aufbietung aller Kräfte in unseren Besitz gebracht hatten, schien auseinanderzubrechen, sich vor unseren Augen einfach aufzulösen.
»Kann man ihnen daraus einen Vorwurf machen?«, fragte sie. »Sie haben genau wie Ihr viele ihrer tüchtigsten und treuesten Gefolgsleute verloren, ihre besten Krieger. Und wenn sie hierbleiben und sich zum Kampf stellen, erleiden sie womöglich noch höhere Verluste.«
»Aber wenn sie jetzt abziehen, machen sie doch alles nur noch schlimmer. Denn sobald der Feind uns hier geschlagen hat, wird er ihre Besitzungen ohnehin überrennen.«
Ich war selbst über die Worte und die Bitterkeit überrascht, mit der ich gesprochen hatte. Schließlich hatte ich noch kurz zuvor genauso argumentiert, wie es diese Männer jetzt taten, und nur widerwillig die Menschen und den Besitz zurückgelassen, der mir inzwischen so ans Herz gewachsen war. Was hatte diesen Sinneswandel nur bewirkt? Ob es daran lag, dass ich jetzt aus eigener Erfahrung wusste, was wir zu befürchten hatten? Oder ob es mir in Wahrheit nur darum ging, Turold, Ithel und Maredudd zu rächen und den Tod all der anderen Männer, die für unsere Sache gefallen waren?
»Woher wisst Ihr eigentlich so genau, dass der Feind uns hier angreifen wird?«, fragte Beatrice. »Nach allem, was man hört, haben die Waliser doch auch hohe Verluste erlitten. Sogar einer ihrer Könige ist gefallen.«
»Genau deshalb kommen sie ja. Bleddyn wird alles tun, um seinen Bruder Rhiwallon und seine übrigen Landsleute zu rächen, und er wird nicht ruhen, bis er dieses Ziel erreicht hat.«
Und dann waren da natürlich noch Eadric und die anderen englischen Rebellen, die mit ihm zusammen zu den Walisern übergelaufen waren. Sie waren immer noch darauf aus, die Ländereien und Herrschaftsrechte zurückzugewinnen, die sie verwirkt hatten, und ließen sich von nichts und niemandem von diesem Ziel abhalten.
So saßen wir eine Weile schweigend da. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und Beatrice anscheinend ebenso wenig. Über der Stadt hinter uns stieg die Sonne auf, und der Fluss funkelte in allen Farben. Obwohl es noch früh am Tag war, spürte ich auf dem Rücken bereits die wärmenden Sonnenstrahlen. Ich pflückte ein paar Grashalme neben mir ab.
Plötzlich sagte Beatrice: »Erzählt mir von Earnford.«
»Was wollt Ihr denn wissen?«
»Alles«, sagte sie. »Wie es dort aussieht, wie die Leute sind. Wie es ist, wenn man dort lebt, so nahe am Grenzwall.«
Sie hatte sich bis dahin noch nie nach meinem Besitz erkundigt. Ich sah sie von der Seite an und überlegte, was ihr Interesse so plötzlich geweckt haben mochte.
Dann schloss ich die Augen und fing an zu erzählen. »Das ist ein ganz besonderer Ort«, schwärmte ich. »Um die Wahrheit zu sagen, ich habe so etwas sonst noch nie gesehen. Die Halle steht auf einem Hügel oberhalb des Flusses. Ringsum auf den Feldern wächst goldenes Getreide: Weizen und Gerste. Auf den grünen Hängen beiderseits des Tales weiden Schafe. Wir fangen dort Fische im Bach und in den Wäldern Hasen. Es gibt einfach alles, was das Herz begehrt.«
»Ich würde den Ort gerne einmal kennenlernen.«
»Wer einmal dort gewesen ist, möchte nie wieder weg. Nicht einmal im Winter, wenn der Boden gefroren ist, wenn heftige Windböen an den Reetdächern zerren und die Wege von Schnee bedeckt sind.« Zum ersten Mal seit längerer Zeit erschien auf meinem Gesicht wieder
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