Die Ritter des Nordens
bloß nicht, dass Ihr ein zweites Mal auf so viel Nachsicht rechnen könnt.«
»Ja, Mylord.«
Er nickte und schien zufrieden und fuhr dann in einem deutlich milderen Ton fort: »Ihr sollt aber auch nicht glauben, dass ich Euch für die Geschehnisse in Wales verantwortlich mache oder dass ich Hugues in dieser Sache freispreche.«
»Danke«, sagte ich erleichtert.
»Ich erwarte von Euch keine Dankbarkeit, ich wollte Euch nur beruhigen.« Er seufzte. »Aber das ist jetzt ohnehin vorbei, und wir haben drängendere Sorgen. Vor allem können wir uns in unseren eigenen Reihen keinen Streit erlauben, solange uns der Feind bedroht.«
»Wisst Ihr schon, was die Waliser vorhaben?«
»Nein, noch nicht«, sagte Fitz Osbern. »Ich habe meine schnellsten Reiter ins Saverna-Tal entsandt, damit sie sich dort umsehen. Außerdem haben wir zwischen Scrobbesburh und dem Grenzwall zahlreiche Signalfeuer installiert, die angezündet werden, sobald der Feind sich blicken lässt. Doch bis jetzt haben wir noch keine Spur von ihm gesehen.«
Auf dem Rückzug nach Scrobbesburh hatten wir im Saverna-Tal einige der Anlagen gesehen. Aber dieses Signalsystem konnte uns auch nur um wenige Stunden vorwarnen, dann jedoch mussten wir uns in das Unvermeidliche schicken und konnten nur abwarten, bis die Banner und Speerspitzen in der Ferne am Horizont erschienen.
»Der Feind wird nicht lange auf sich warten lassen«, sagte ich. »Sie wissen, dass wir geschwächt sind. Also werden sie ihre Überlegenheit ausnutzen wollen, solange die Verstärkung aus Lundene noch nicht hier ist.«
Fitz Osbern schüttelte den Kopf und dreht sich wieder zum Fenster um. »Wir erhalten aber keine Verstärkung aus Lundene«, sagte er leise.
»Was soll das heißen?«
»Gestern früh haben wir die Nachricht erhalten, dass sich die Bevölkerung in den südlichen Grafschaften gegen uns erhebt, zum Beispiel in Defnascir und in Sumorsæte. Aber nicht nur das: Die Rebellen senden außerdem Boten aus, die überall in Wessex zum Aufstand aufrufen. Und dann haben sich angeblich auf der anderen Seite des Meeres auch noch unsere Feinde in Maine und in der Bretagne mit dem französischen König verbündet.«
Er spuckte den Namen meines Geburtslandes förmlich aus. Denn die Normandie und die Bretagne lagen schon seit Menschengedenken miteinander im Krieg. Obwohl es zwischen beiden Herzogtümern gerade keine offenen Feindseligkeiten gab, misstrauten die Bewohner beider Provinzen einander weiterhin. Vielleicht war sich Fitz Osbern nicht darüber im Klaren, mit wem er gerade sprach, vielleicht wollte er mich mit dieser Kränkung aber auch ganz bewusst in die Schranken weisen. Doch ich fühlte mich ohnehin schon lange nicht mehr als echter Bretone. Schließlich mied ich das Land meiner Kindheit bereits seit vielen Jahren und hatte stets Herren gedient, die dem Herzog der Normandie Lehnstreue gelobt hatten. Trotzdem begegnete ich immer wieder Menschen, die mir meine Herkunft zum Vorwurf machten. Irgendwann hatte ich mich jedoch an die Beleidigungen gewöhnt und registrierte sie deshalb kaum noch. Doch dass sich so ein hochgeborener und gebildeter Mann wie Fitz Osbern zu einer solchen Beleidigung hinreißen ließ, hatte ich bisher noch nicht erlebt.
»Die Bretonen und die Herzöge von Maine machen doch ständig Ärger, Mylord«, sagte ich. »Das hat doch nichts zu bedeuten.«
»Vielleicht nicht«, entgegnete er. »Aber das ist längst noch nicht alles. Während wir hier sprechen, befinden sich nämlich die Dänen mit über dreihundert Schiffen auf dem Weg nach England.«
»Dreihundert?«, wiederholte ich. Das war eine Flotte, die genauso groß war wie jene, mit der wir selbst vor vier Jahren gelandet waren.
»Das berichten jedenfalls die Händler, die in unserem Sold stehen, und die sind meist zuverlässiger als die anderen Kaufleute.«
Dreihundert Schiffe. Das war allerdings eine gewaltige Zahl. Kaum zu glauben. Mit so einer Flotte ließen sich bis zu fünfzehntausend Mann transportieren, davon zweifellos mindestens die Hälfte Krieger. Im Vergleich dazu waren unsere Truppen hier in Scrobbesburh geradezu ein lächerlicher Haufen. Aber das war noch nicht einmal das Schlimmste. Denn nach meiner Erfahrung wog jeder Däne zwei Engländer auf. Schließlich kamen diese Leute aus einem kalten, sturmumtosten Land jenseits der Germanischen See, wo es kaum etwas zu essen gab und jeder, der nicht verhungern wollte, sich mit seinen Nachbarn um jeden Bissen Brot schlagen musste. Die Dänen
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