Die Ritter des Nordens
Außerdem setzte sich irgendwo weiter nördlich gerade Earl Hugues mit seiner Armee in Bewegung. Wahrscheinlich beobachteten seine Kundschafter den Feind schon längst, und er wartete bloß noch auf den richtigen Augenblick, um anzugreifen. Ich dagegen hatte lediglich die Aufgabe, den Feind abzulenken und, wenn möglich, aus der Reserve zu locken. Das war die Rolle, die Fitz Osbern mir zugewiesen hatte. Ob es mir gefiel oder nicht, ich hatte geschworen, diesen Befehl getreulich auszuführen.
»Ja, es gibt dort einen Palisadenzaun«, sagte Ithel, der wieder übersetzte, was der Mann gesagt hatte. »Außerdem ist die Anlage von einem Graben umgeben, der von einem Fluss in der Nähe gespeist wird. Die Siedlung hat zwei Tore: eines auf der südlichen, das andere auf der westlichen, dem Dorf zugewandten Seite.«
Ich musterte Haerarddur und versuchte einzuschätzen, ob er die Wahrheit sagte oder nicht. Einen Turm oder einen Wall oder andere Befestigungen hatte er nicht erwähnt. Offenbar handelte es sich gar nicht um eine Festung, wie ich anfangs vermutet hatte, sondern nur um eine Art Stützpunkt, einen Zufluchtsort in Zeiten der Not. Das schwierigste Hindernis stellte wahrscheinlich der Wassergraben dar, der aber – je nachdem, wie breit und tief er war – auch nicht völlig unüberwindlich sein musste. Nichts von dem, was der Mann berichtete, klang jedoch so verlockend, dass ich deswegen die Sicherheit der mir unterstellten Männer aufs Spiel gesetzt hätte. An einen Angriff war ohnehin nur zu denken, wenn sich unsere Siegeschancen dort genauso eindeutig darstellen würden, wie sie es an diesem Morgen getan hatten.
»Nun gut«, sagte ich zu Ithel. »Ordnet an, dass man die anderen Gefangenen losbindet und laufen lässt.«
»Und was machen wir mit ihm?«
»Wir nehmen ihn mit. Falls sich herausstellt, dass er uns belogen hat, hat er sein Leben verwirkt.«
Ithel nickte und blaffte dann Haerarddur an, der wegen seiner gefesselten Hände etwas umständlich vom Boden aufstand. Dabei hielt der Feigling den Kopf hoch erhoben und bedachte jeden, der ihn ansah, mit einem stolzen Blick. Dabei gab es nun wirklich nichts, worauf er sich etwas hätte einbilden können.
Ich wies die Waliser an, sich um den Mann zu kümmern, und ging wieder zu meinem Conroi und zu meinem Pferd Nihtfeax. Mittlerweile hatten sich Schwärme von Krähen auf den Toten niedergelassen, die meine Leute mitten auf dem Weg aufgestapelt hatten. Einige der Vögel vergruben die großen Schnäbel in offenen Wunden, andere rissen Fleischfetzen aus Gesichtern, pickten in Augen, als ob sie seit Monaten nichts mehr gefressen hätten. Wieder andere segelten krächzend über unsere Köpfe hinweg und riefen ihre Artgenossen von nah und fern herbei, luden sie ein, an dem Festschmaus teilzunehmen, den wir ihnen bereitet hatten. Und so bekamen zu guter Letzt selbst die Krähen noch etwas von unserer Beute ab. Ihnen oblag es nun, das zu Ende zu führen, was wir begonnen hatten; und sollten wir irgendwann wieder an diesen Ort kommen, würde nichts mehr übrig sein von den Männern, die sie einst gewesen waren. Der Tod macht alle Menschen gleich.
Erst als Serlo mir mein Banner überreichte, gelang es mir, mich von dem grässlichen Anblick loszureißen. Ich hielt die Fahne hoch in die Luft, während Pons auf dem Horn das Signal zum Aufbruch blies. Dann setzten wir uns in Bewegung. Doch der Gestank wollte einfach nicht weichen, und noch Stunden später roch ich das geronnene Blut an meinem Helm und in meinen Haaren, das Blut, das an meinem Kettenpanzer und an dem Rock klebte, den ich darunter trug, und sogar an meiner Haut. Und zugleich hatte ich das dumpfe Gefühl, dass diesmal Wasser allein nicht ausreichen würde, um den Geruch wieder abzuwaschen.
Wir wählten nicht den kürzesten Weg nach Mathrafal, zogen also nicht auf der alten Straße nach Norden, sondern wandten uns zuerst nach Westen und folgten dann einem Höhenzug, der sich seitlich des Flusstals entlangzog. Nach Auskunft der beiden Brüder konnten wir in der Gegend nach Lust und Laune so rauben und plündern, dass es dem Feind nicht verborgen bleiben würde. Tatsächlich erreichten wir schon eine Stunde nach dem Abzug aus Caerswys ein kleines Dorf, das aus vielleicht dreizehn, vierzehn Hütten bestand und damit fast so groß war wie Earnford. Ringsum wogten üppige Gerstenfelder, und weiter oben an den Hängen grasten Schafe, die sich auf den grünen Matten wie weiße Tupfer ausnahmen.
Möglich, dass die
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