Die Rollbahn
nicht sterben!« Major Schneider wandte sich an den Sanitäter, der den kleinen Brehm gerade verband. Er hatte zwei Mullpäckchen auf den Einschuß gelegt, als ihn Major Schneider anfuhr.
»Was machen Sie denn da? Kümmern Sie sich um den Russen!«
»Lungenschuß, Herr Major.«
»Und wenn's ein Hodenschuß ist … Der Russe ist wichtiger!«
»Ein Lungensteckschuß, Herr Major …«
»Sie sollen den Russen verbinden!« brüllte Major Schneider. »Wenn der Mann stirbt, ist es nicht schlimm … aber an der Aussage des Russen kann das Leben einer ganzen Armee hängen!«
Strakuweit saß auf dem Boden des Grabens und starrte Major Schneider an. Dann sah er auf den stöhnenden Brehm mit seinem blutigen Schaum auf den Lippen, sah, wie der Sanitäter von ihm abließ und zu dem Russen ging. Da erhob er sich, rollte sein Verbandspäckchen auseinander und setzte die Arbeit des Sanitäters fort. Er lehnte den Oberkörper Brehms an den Graben und umwickelte dessen Brust mit seiner Binde. Dann bedeckte er den Körper mit der auseinandergeschnittenen Jacke.
»Sofort zurück zum Bataillon«, hörte er Major Schneider sagen. »Wensky muß den Mann vernehmungsfähig machen!« Er gab Faber nicht die Hand, und auch Vogel vermied es, den Oberleutnant anzusehen. »Ein Saustall ist das hier!« sagte Schneider noch. »Ein Toter, ein Verwundeter – und das Ergebnis? Ein halber Russe! Ich muß mir nächstens die Gefangenen selber holen, wenn meine Kompaniechefs zu dumm sind.«
Gebrochen war auch Hauptfeldwebel Kunze. Der Anblick des Gefreiten Lönne, den man in den Graben zurückholte, das zerfetzte Gesicht, die ausgestanzten Augen, der von einem Splitter schrecklich verbreiterte Mund, brachten Kunze an den Rand des Zusammenbruchs. Er mußte sogar die Zeltplane mitschleppen, als der kleine Trupp zurückging … voran der Major, dann Vogel mit zwei Trägern, die den Russen schleppten, Kunze und ein Essenträger mit der Zeltplane, am Schluß zwei Träger, die in ihrer Mitte den kleinen Brehm mitschleiften.
Oberleutnant Faber gab ihnen das Geleit, bis sie in das Kusselgelände kamen, wo Schneiders Wagen parkte. Dort lud man den Russen auf den Rücksitz … für den kleinen Brehm war kein Platz mehr.
»Ab!« schrie Major Schneider seinen Fahrer an.
Wie von einem Irren gelenkt, raste der kleine Kübelwagen durch die Nacht davon. Vogel und Faber sahen sich an.
»Ein Held«, sagte Vogel stockend.
Faber nickte. »So bekommt man Ritterkreuze, Vogel. Merken Sie sich das!«
Er wandte sich ab und ging zurück zum Verbindungsgraben. Am Einstieg erwartete ihn der Kompanietruppführer Brösel.
»Was sollen wir mit Strakuweit machen?« fragte er zögernd. Faber fuhr herum.
»Was ist mit Strakuweit?«
»Er scheint wahnsinnig geworden zu sein. Er tobt im Graben herum und ist nicht zu bändigen. Er nennt uns alle Verbrecher …«
Faber senkte den Kopf. Sein Gesicht war bleich.
»Lassen Sie ihn, Brösel … Hören Sie nicht hin … Kennen Sie die drei chinesischen Weisheiten? Nicht hören … nicht sehen … nicht sprechen … Für uns Soldaten gibt es noch eine vierte Weisheit: Nicht denken …«
Im Bataillonsgefechtsstand bemühte sich der Bataillonsarzt Dr. Wensky um den gefangenen Russen. Er hatte die Kopfwunde gesäubert, Tetanus injiziert, ein Herzmittel in die Vene gespritzt und saß nun neben dem Verwundeten. Major Schneider lief unruhig hin und her und blieb vor Dr. Wensky stehen.
»Nun?«
»Wir müssen warten.«
»Warten! Warten! Ist das Ihre ganze medizinische Weisheit?«
Dr. Wensky sah schräg zu Major Schneider hinauf. Der Schein der Batterielampe fiel auf sein breites, ostpreußisches Gesicht.
»Die wichtigste Medizin des Arztes ist die Geduld, sagte schon Äskulap.«
»Ich will keine griechischen Weisheiten hören, sondern die Nummern der russischen Truppen im Wald von Bajewo.«
»Man hat dem Iwan das halbe Gehirn aufgeklopft. Ein toller Spatenhieb. Wenn er überhaupt aufwacht, können Sie dieses Wunder zur Anerkennung dem Papst melden!«
Major Schneider blieb ruckartig stehen. »Ich bringe den Spatenhelden vor ein Kriegsgericht!« sagte er verbissen. »Ich bin bis zur Division blamiert, wenn der Russe abhimmelt. Ein wüstes Theater mit Artillerieunterstützung … und das Ergebnis? Es ist zum Kotzen. Das wäre mir mit meiner aktiven Truppe nicht passiert!«
»Und wo ist Ihre aktive Truppe?« fragte Stabsarzt Dr. Wensky sanft. Dabei beugte er sich über den Russen, der aufstöhnte.
Major Schneider sah den Arzt groß
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