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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Motor.« Er blickte sich um. »Wer kann nicht schwimmen?« Sie konnten es alle, sogar Kunze. Schneider nickte. »Gut. Die Waffen und Uniformen auf den Kopf. Einzeln, in Abständen von 50 Metern! Jenseits des Ufers sammeln wir uns dort drüben an der großen Weide. Gott mit euch, Jungs …«
    Verzweifelt schwamm die Gruppe Schneider durch den Dnjepr, eine Handvoll Mensch, die nichts wog gegen das Leid, das über die deutschen Mütter und Frauen gekommen war …
    Bei der Sanitäts-Ersatzstaffel in Minsk saß Sanitätsunteroffizier Walter Heinrich und wartete auf seinen Weitertransport an die Front.
    Der Abschied von Elsbeth in Nasielsk war schnell und hastig gewesen. Er hatte kaum die Zeit besessen, nach Nasielsk zu fahren. Als er unverhofft in die Schule getreten war und vor ihr stand, mit hängenden Armen, brauchte er keine Worte mehr. Elsbeth hatte das Pult umklammert. Ihre Augen waren leer.
    »Du mußt fort –«
    »Ja.«
    »An die Front?«
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Sofort! Ich habe nur noch zehn Minuten Zeit. Sie warten auf mich. Ich habe nur die Zeit zum Abschied bekommen.«
    »Abschied –«
    Sie schwankte leicht, aber sie behielt ihre Haltung und warf den Kopf weit in den Nacken. Ihre Backenknochen stachen hart durch die Haut. Aber so sehr sie die Zähne zusammenbiß … aus ihren Augen rollten die Tränen über das Gesicht, winzige Kugeln, in denen sich das Licht brach. Heinrich umklammerte ihre Hand.
    »Wir sehen uns wieder, Elsbeth –«
    »Ja –«, sagte sie schwach.
    »Stabsarzt Dr. Seidel wird dich herausholen, wenn sie dich hier vergessen. Er hat es mir versprochen. Du brauchst keine Angst zu haben –«
    »Ich habe keine Angst. Ich bin nur plötzlich so leer –«
    »Einmal ist auch dieser Krieg zu Ende. Dann sind wir zusammen, ein ganzes Leben lang. Du mußt daran glauben, daß ich wiederkomme.«
    »Ich glaube es, Walter.« Mit steifen Schritten, wie eine aufgezogene Puppe, kam sie die zwei Stufen des Podiums herunter, ging an ihm vorbei und verließ die Klasse. Stumm, ahnend, was sie sahen, blieben die Kinder sitzen. Man hörte nur ihr kleines, hastiges Atmen. Er folgte ihr auf den Flur … da stand sie an die Wand gelehnt und weinte haltlos. Sie sah nichts mehr hinter dem Vorhang der Tränen … Heinrichs Gesicht war ein Schatten, ein Bild hinter einer Milchglasscheibe … sie hörte nichts mehr als ihr eigenes Weinen … Worte strömten an ihr vorbei, erreichten sie nicht mehr … sie brach innerlich zusammen, sie löste sich auf in Schmerz und sah und hörte und empfand und begriff nichts anderes mehr als Schmerz – Schmerz –
    Er küßte sie, aber er küßte kalte Lippen, die nicht antworten konnten. Er umarmte sie, drückte sie an sich, genoß noch einmal den Druck ihres Körpers, ihrer Brüste, den Geruch ihrer Haare, die Wärme ihrer Arme …
    »Elsbeth«, sagte er heiser. »Elsbeth –«
    Er sah auf die Uhr. Die Minuten rasten, die Zeiger wirbelten über das Zifferblatt … sieben – acht – neun Minuten –
    Er küßte sie mit geschlossenen Augen. Er tastete mit den Lippen über ihr tränennasses Gesicht, er preßte sie an sich und zitterte … Jetzt sterben, schrie es in ihm. Jetzt … jetzt … Aber die Uhr raste weiter, und er starb nicht.
    Zehn Minuten.
    Er riß sich los. Rannte fort aus der Schule, blieb auf dem Schulhof stehen, rannte zurück … Sie stand noch immer an der Wand, mit leeren, weiten Augen, aus denen die Tränen quollen.
    »Elsbeth –«, schrie er. Er stürzte auf sie zu, küßte sie, immer und immer wieder, wühlte sich mit dem Gesicht in ihre Haare und schluchzte.
    11 Minuten –
    Er nahm ihr Gesicht zwischen beide Hände, hob es zu sich empor. Sie sah ihn an, und sie sah durch ihn hindurch. Sie sah seine blauen Augen, aber es waren plötzlich Sonnen, die sich drehten, sie sah seine Haare, aber sie wurden zu einem Weizenfeld, über den ein Sturm raste …
    »Ich komme wieder!« schrie er in das nasse Gesicht hinein. »Ich – ich – o mein Gott –«
    Er rannte wieder aus der Schule, rannte über den Schulhof, griff sich an das Herz und überwand sich, noch einmal umzukehren. Er blickte auch nicht zurück … er rannte bis zu dem Kübelwagen, der auf dem Marktplatz wartete und hinter dessen Lenkrad der Sanitätsobergefreite Blubbke hockte. Blubbke, von dem im Lazarettbereich die Sage ging, daß er bei jeder Sanierung einen neuen Witz aus der 7. Sohle zum besten gab.
    Walter Heinrich schwankte an den Wagen. Er ließ sich neben Blubbke auf den harten Sitz fallen. Das

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