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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Kopf, der rechte Arm pendelte zurück, und dann fuhr seine Faust mit einem gewaltigen Schlag in das Gesicht Vogels. Es war ein lautes Klatschen, so wie man einem Pferd auf die Kruppe schlägt.
    Leutnant Vogel machte einen kleinen Satz nach hinten und sank dann ohnmächtig zusammen. Über Mund und Nase zog sich eine blutige Schwellung.
    Schneider riß Faber am Arm herum. Sein Gesicht flammte.
    »Auch das tut kein deutscher Offizier, Faber!« schrie er. »Ich werde auch Sie dafür zur Rechenschaft ziehen.«
    »Ich bitte darum, Herr Major«, sagte Faber stolz. »Wenn es in diesem Chaos auch keine Ehre mehr gibt, so gibt es doch noch ein Gewissen! Aus ihm heraus handelte ich.«
    Er wandte sich ab und ging zu Leskau, der neben dem Raupenwagen lag und von einem Soldaten gewaschen wurde.
    Dr. Wensky trat an Major Schneider heran, der neben dem ohnmächtigen Vogel stand und sich nicht rührte. Er hob ihn nicht auf, er beugte sich nicht herunter … er sah über ihn hinweg in die Ferne, wo der Dnjepr liegen mußte.
    »Sie haben keine Linie, Herr Major«, sagte er leise. »Sie verurteilen Kläger und Angeklagten … Sie finden das Recht nicht.«
    Major Schneider sah den Stabsarzt kopfschüttelnd an.
    »Denken Sie, was Sie wollen, Doktor. Ich will jetzt nichts anderes finden als den Dnjepr und den Übergang auf die andere Seite. Nichts anderes! Jenseits des Flusses weiß ich, was ich zu tun habe … und ich habe die Macht, es zu tun! Und ich werde es tun! Hier, Doktor, sind wir ein wilder Haufen, der um sein Leben kämpft. Um das nackte Dasein. Da brechen Leidenschaften auf, die wir nie kannten, die wir nie in uns ahnten. Wir werden Fremde vor uns selbst. Das Verborgenste kommt nach oben und verdeckt das Antlitz von Moral und Erziehung! Das will ich eindämmen … diese Flut von entfesselten Leidenschaften will ich aufhalten! Wir wollen uns nicht selbst gegenseitig umbringen … das können die Partisanen besser. Wir wollen über den Fluß … das allein ist das Ziel! Was dann kommt … Lieber Doktor, denken wir noch nicht daran! Es wird schrecklich sein, wenn wir wieder normal werden und die Objektivität besitzen, unsere Sünden aufzuzählen …«
    Er ging fort, als Vogel aus seiner Ohnmacht erwachte und sich vom Boden mühsam erhob. Er tastete über seinen aufgeschlagenen Mund und ging zu Dr. Wensky, der mit Jod auf ihn wartete.
    Unter einem Busch wurde Tamara begraben.
    Hauptfeldwebel Kunze hob selbst die Grube aus. Er tat es mit einer großen Andacht und trat Strakuweit, der ihm helfen wollte, in den Hintern.
    »Das ist meine Arbeit«, sagte er dumpf und grollend. »Ich muß mich üben, wenn es später um mein eigenes Grab geht.«
    Dann nahm er den Körper Tamaras auf seine dicken Arme und schleppte ihn zu der tiefen Grube. Er legte ihn so vorsichtig, als könne er ihm noch weh tun, in das Grab, deckte eine alte Zeltplane über das schrecklich mißhandelte Gesicht und den im Tode noch schönen Oberkörper. Er faltete sogar Tamaras schmale, schmutzige Hände über der Brust und saß dann versunken vor dem Körper, mit geschlossenen Augen und zuckendem Mund, in dessen Winkeln sich die Tränen sammelten.
    Strakuweit saß auf der Erde neben Faber und kaute an seinen Nägeln. »Er hat sie wirklich geliebt«, sagte er leise. »Ich hätte es nie gedacht …«

Dann erhob sich Kunze, streichelte noch einmal über die Zeltplane, unter der das entstellte Gesicht lag, und kletterte aus der Grube. Er nahm den kurzen Spaten, drückte ihn in den ausgeworfenen Erdhaufen und warf die erste Erde über den langgestreckten Körper.
    Schluchzen schüttelte seine massige Gestalt, aber er warf weiter die Erde in die Grube, füllte sie wieder auf und nahm mit jedem Spatenwurf Abschied von Tamara und der Erinnerung an das kleine Dorf Dubrassna seitlich der großen Rollbahn nach Moskau …
    In der Nacht erreichten sie den Dnjepr. Breit, glänzend, mächtig floß er mit schnellen Wassern durch den trüben Mondschein. Eine Sandbank lag vor ihnen, wie der Rücken eines weißen Wals aus den Strudeln ragend. Nördlich zuckte der Himmel, lag eine Brandwolke über dem Land, grollte es durch die Nacht. Orscha … die Rollbahn … die Front … Der Untergang der deutschen Heeresgruppe Mitte …
    Sie standen am Ufer und sahen über den Fluß. Ihre Herzen jubelten, schienen auseinanderzubrechen vor Freude … aber ihre Gesichter waren ernst, erschöpft, am Ende der Kraft.
    »Hinüber«, sagte Major Schneider leise. »Strakuweit, vernichten Sie den

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