Die Rollbahn
Tisch legte, auf die Karte des Gebietes Borissow.
»Sie fahren in dieser Nacht noch hinaus zu Ihren Truppen. Sie haben keinen weiten Weg«, fügte er mit bitterem Humor hinzu. »Man kommt Ihnen sogar entgegen.« Er reichte Major Schneider die Hand. »Sie haben eine große Leistung vollbracht, Herr Major. Ich werde es der Armee weitergeben.«
Damit waren sie entlassen. Die Troßleute nahmen sich der Landser an … die Offiziere gingen in das kleine ›Kasino‹, eine verfallene Bauernkate, in der auch der Ia der Division seine Dienststelle aufgebaut hatte und in der die Fäden einer verlorenen Schlacht zusammenliefen.
Über die Rollbahn zurück fluteten die deutschen Divisionen. Bataillonsstark, ausgemergelt, ohne Munition, ohne Sprit, ohne Ersatz, mit ausgeleierten MG-Läufen, wundgeschossenen Kanonenrohren, zerbrochenen Wagen und sinnlos gewordenen Panzern, die ohne Benzin seitlich der Straße lagen und von den zurückgehenden Truppen in Brand gesteckt wurden.
Major Schneider übernahm das 3. Bataillon. Es lag seitlich der Rollbahn bei Studenka in den Sümpfen der Beresina. Es war ein erbärmlicher Haufen, dezimiert nicht allein durch Verwundungen, sondern durch Krankheiten, Mückenplage, Malaria und Unterernährung.
Leutnant Vogel begann, den Bataillonsgefechtsstand einzurichten. Er versammelte zunächst den Bataillonstroß um sich und hielt ihm einen kurzen, markanten Vortrag.
»Das hier ist ein Sauhaufen!« schrie er. »Wir sind mitten durch die russischen Linien und Divisionen marschiert, aber so wie dieser Misthaufen hier haben wir nie ausgesehen! Der deutsche Soldat ist der Träger einer jahrhundertealten Kultur! Ich habe mir die Toilettenverhältnisse angesehen – eine Katastrophe! Ein Loch hinter einem Busch! Ein Loch! Man soll es nicht für möglich halten! Und das sollen Kulturträger sein?«
Der Vortrag dauerte eine Viertelstunde, dann wußte das 3. Bataillon, was die Stunde geschlagen hatte.
Die erste Handlung Leutnant Vogels wurde in der Division berühmt: Nach eigenen Zeichnungen ließ er beim Bataillonsgefechtsstand Latrinen bauen.
Es waren genaue Zeichnungen mit Aufrissen, Querschnitten, Grundrissen. Sogar der Donnerbalken war statisch berechnet für eine ›Nutzlast von 10 Mann‹.
Als die Latrine fertig war, erschien Strakuweit als Melder der 9 . Kompanie, verschwand hinter dem Bretterverschlag und beschmutzte den Balken.
Diese ungeheuerliche Tat, geschehen vor der feierlichen Einweihung der Latrinenanlage durch Major Schneider, brachte Leutnant Vogel an den Rand seiner Fassung.
»Strakuweit!« heulte er. »Sie Schwein! Sie Saukerl! Sie Urviech! Wer hat Ihnen erlaubt, die Latrine zu benutzen?«
Strakuweit stand in strammer Haltung vor dem wachsbleichen Vogel. Er hatte den Helm auf, umgeschnallt, die Maschinenpistole straff auf den Rücken gezogen, sogar seine Stiefel waren sauber. Sein Blick ruhte verwundert auf dem tobenden Leutnant.
»Ich mußte, Herr Leutnant.«
»Und gerade auf der neuen Latrine?«
»Dafür ist eine Latrine doch da.«
»Sie war noch nicht eingeweiht!«
»Ach so.« Strakuweit sah Vogel treuherzig an. »Ich wußte nicht, daß beim Bataillon ein Scheißhaus wie ein Denkmal ist. Natürlich gebührt der erste Sitz dem Herrn Major!«
Leutnant Vogel brüllte noch immer, als Strakuweit schon längst den Raum verlassen hatte. Er war auf dem Rückweg zur 9. Kompanie … ein Weg, der durch einen Sumpf führte, schmal wie ein Steg, gekennzeichnet durch in den Boden gesteckte Zweige.
Beim Kompanietroß hatte Hauptfeldwebel Kunze bereits per Telefon von der neuen Untat Strakuweits erfahren. Er legte den Hörer auf und sah hinüber zu Leskau, der auf einem Strohsack in der Ecke des Bunkers lag und eine alte PK-Zeitung las.
Oberleutnant Faber hatte Leskau beim Troß zurückgelassen. »Sorgen Sie für Nachschub«, hatte er zu ihm beim Abschied gesagt. »Dort kann ich Sie besser gebrauchen als in der HKL. Und im übrigen« – er lächelte schwach – »sehen wir uns ja schnell wieder. Länger als drei Tage ist die Stellung nicht zu halten.«
»Strakuweit hat Vogel aus dem Häuschen gebracht«, sagte Kunze. Er schrieb die Zeit des Telefongespräches auf und in Stichworten den Inhalt. »Jetzt ist er auf dem Rückweg. Wenn das so weitergeht, sitzt der Theo nach dem Krieg ein Jahr Bau ab!«
»Nach dem Kriege?« Leskau warf die PK-Zeitung fort. Die Überschriften ekelten ihn an. Heldentum. Opfer für Deutschland. Unbesiegt! Dem Endsieg zu. Wunderwaffen. Eine Flut von Worten,
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