Die Rollbahn
Theatermantel, eine schillernde Uniform mit goldenen Litzen und Bändern, bunten Rockspiegeln und einer Reihe blitzender Orden. In ihr gehst du durch die Reihen der Schreienden, Stöhnenden, Wimmernden, vor Schmerz halb Irren, gemäßigt schreitend in der Würde deiner angebeteten Macht, und nimmst ihre jungen Leben, bewußt, ein großes, geschichtliches Werk zu tun. Einmal werden die Historiker darüber schreiben: Es war Deutschlands glorreichste Zeit … damals, als 3 Millionen junge Deutsche den Heldentod starben.
Heldentod! Der Theatermantel des furchtbarsten Grauens. Die ästhetisch-heroische Verbrämung von Blut, Fleischfetzen, Eiter, zerrissenen Mägen, halbierten Köpfen, weggesägten Beinen und hervorquellenden Gehirnen.
Der deutsche Soldat stirbt wie ein Held! Wer weint denn da? Wer ist die undeutsche Memme? In stolzer Trauer, ihr Heldenväter und Heldenmütter! Lest die deutschen Geschichtsbücher, die sich anhören wie ein Rapport aus einem Schlachthof. Lest die deutschen Heldensagen, die deutschen Kriegsromane! Sie starben mit einem Hurra auf den Lippen! Sie liebten den Tod vor dem Feind! Die Germanen, die Goten, die Kreuzfahrer, die Bauernkriegler, die Landsknechte, die Freiheitskämpfer, die Heere des Alten Fritz, die Sturmmänner von 1870 und die Frontschweine vor Verdun und an der Somme 1916! Sie alle – lest es doch! – starben den Heldentod mit Freuden und hinterließen ihre Witwen und Kinder in stolzer Trauer.
Wer wagt denn da zu schreiben, daß sie wimmernd im Graben lagen und nach der Mutter schrien? Wer wagt denn da zu denken, daß sie sich verkrochen, daß sie beteten, daß sie vor Angst schrien? Wer wagt zu sagen: Sie starben nicht singend, sondern ratlos … sie ließen nicht den Kaiser und den Führer hochleben in ihren letzten Worten, sondern sie wimmerten nach der Frau oder der Mutter, sie weinten um ihre Kinder und schluchzten vor dem Wahnsinn der Völker. Wer wagt dies zu schreiben! Hinweg mit diesen Defätisten!
Der Heldentod duldet es nicht … er hat einen bunten Mantel an, bestickt mit Bildern aus dem Märchenbuch des Heroismus. Lachend sterbende Krieger – Welch ein Betrug an der Menschheit und an Gott!
Inge Hellwag sah dem entschwindenden Zug nach. Er machte einen Bogen und entschwand hinter einer Reihe die Sicht versperrender Güterwagen. Sie hatte ihr Taschentuch gegen die Lippen gedrückt und zerriß den Stoff mit den Zähnen.
Schrei doch, durchglühte es sie. Schrei doch, grell, alles herumreißend mit deinem Schrei. Schrei doch die Wahrheit hinaus … Laßt sie nicht fahren! Holt sie zurück! Laßt sie nicht sterben in den Weiten Rußlands! Sie wissen ja noch gar nicht, was Leben ist … wir alle wissen es ja nicht –
Auf der Straße blieb Inge stehen und blickte sich noch einmal um. In der Ferne hing eine weiße Qualmwolke unter der Sonne. Das Letzte des Zuges. Eine Wolke Rauch.
Und sie zerging im Blau des Himmels, als sei sie nie gewesen –
Der Zug ratterte durch Ostpreußen.
Unteroffizier Leskau zwängte sich durch die vollgestopften Gänge der Wagen, kletterte über Koffer und Kisten, Tornister und Wäschesäcke, hörte Flüche und dumme Bemerkungen – »Benutzen des Lokus nur gegen Schißbefehl vom Zugkommandanten!« – und schob sich weiter. Von Abteil zu Abteil.
Er suchte einen Kameraden. Einen Kumpel seiner Kompanie, seines Bataillons … irgendeinen Bekannten suchte er, um nicht mit seinen Gedanken allein zu bleiben. Der Gesang in seinem Abteil ekelte ihn an. Der Schnapsdunst und die Käsebrote eines Stabsgefreiten aus Labiau reizten seine Schleimhäute bis zum Erbrechen. Am Fenster saß ein Obergefreiter und erzählte Witze aus der siebenten Sohle. Da flüchtete er und zwängte sich suchend durch die anderen Wagen.
Er sehnte sich nach einem Fleck Heimat, nach einem bekannten Gesicht, nach einem Ausruhen von der Flucht vor dem schrecklichen und nicht zu verjagenden Gedanken: Ich habe Inge zum letztenmal geküßt. In Rußland werden wir weiter zurückgehen, werden wir unter dem Hagel der Stalinorgeln liegen, werden wir von den klirrenden T 34 breitgewalzt.
Drei Wagen weiter traf er auf Strakuweit.
Er verteilte gerade aus seinem Brotbeutel die selbstgemachte Blutwurst aus Felderhof und ließ eine Flasche Bärenfang durch sein Abteil kreisen. Sein Gesicht glänzte wie mit einer Speckschwarte eingerieben. Er war glücklich … er lief über vor Freude und Stolz wie ein Dampfkessel mit zu hohem Druck.
»Lottchen bekommt ein Kind!« verkündete er zum
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