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Die Rollbahn

Die Rollbahn

Titel: Die Rollbahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sechstenmal den kauenden Landsern. Er rieb die Hände aneinander und schaute in die Runde, ob diese Feststellung nicht die gleiche Begeisterung erzeugte wie bei ihm. »Habt ihr Lottchen gesehen? Vorhin, auf dem Bahnsteig? Was, das ist ein Mädchen! Damit kann man sich sehen lassen. Sie kocht und bäckt, kann Kühe melken, Käse machen und Kinder bekommen! Und lieb ist sie … man kommt drei Tage nicht aus den Federn …«
    »So genau wollten's wir nicht wissen.« Ein dicker Gefreiter schnitt mit dem Taschenmesser sein großes Stück Blutwurst durch. »Aber wenn sie so gut ist wie ihre Wurst …«
    Der Zug rumpelte über eine Brücke und kreischte über Weichen. Die Eisenbrücke über den Pregel … die Strecke nach Insterburg. In der Tür erschien Unteroffizier Leskau und hielt sich im Türrahmen fest, als die Wagen schwankten. Dabei fiel sein Blick auf den fröhlich essenden Strakuweit.
    »Mensch! Stinktier!« schrie Leskau. Strakuweit fuhr herum und schnellte empor. Er warf Wurst und Bärenfang dem dicken Gefreiten in den Schoß und stürzte zur Tür.
    »Fritz! Alter Junge!« Die im Wege stehenden Landserbeine trat er einfach zur Seite und fiel Leskau um den Hals. »Wo kommst du denn her! Urlaub gehabt?«
    »14 Tage.« Leskau zog Strakuweit auf den Gang hinaus. Er atmete auf. Der innere Druck wich von ihm … Strakuweit war ein Stück der Kompanie … war ein Stück jahrelang gemeinsamen Erlebens. Strakuweit, sagte einmal Hauptfeldwebel Kunze, wenn ich Sie sehe, verdunkelt sich die Sonne! Vor soviel Dummheit schämt sie sich! Aber was wäre die 5. Kompanie ohne Strakuweit gewesen? Bei Smolensk ›lief‹ ihnen ein Schwein zu, als sie eine Woche lang Dörrgemüse essen mußten. Im Keller einer zerstörten Kirche bei Witebsk entdeckte er ein Faß mit 500 Litern reinen Wodkas! Damals war sogar Hauptfeldwebel Kunze von Strakuweit begeistert und nannte ihn ›seinen Spezi‹. Er sagte es in völliger Besoffenheit, aus der er erst nach 4 Tagen erwachte.
    Leskau klopfte Strakuweit auf die breiten Schultern.
    »Was macht deine Gelbsucht, Theo?«
    Strakuweit grinste breit.
    »Ist weg! Habe ich eingetauscht gegen ein Kind!«
    »Gegen was?«
    »Ein Kind! Mensch, Fritz – Lottchen bekommt ein Kind!« Strakuweits Gesicht war überglänzt von Stolz. Er umklammerte den Arm Leskaus und schüttelte ihn. »Begreifst du das, Fritz? Ein Kind! Von mir! Und der Lehrer von Pillkallen sagte zu mir bei der Schulentlassung: Theo, wenn du jemals etwas im Leben schaffst, fresse ich einen Besen! – Alle haben das gesagt – der Strakuweit, der Halbidiot!« Er schüttelte den Kopf, als könne er es selbst nicht begreifen. »Kann der Lehrer jetzt fressen den Besen …«
    Sie lachten und hieben sich auf die Schultern. Draußen, vor den blinden Fenstern, flogen die ostpreußischen Seen vorbei. Der Bahnhof von Gumbinnen wurde ohne Aufenthalt durchrast … die Weite des Landes wurde endlos wie der Himmel, der über ihr in Sommerglut schwelte. Stampfend flogen die langen Wagenreihen durch die Sonne nach Osten, nach Kowno, hinein nach Polen und Rußland. 2.500 deutsche Urlauber. Singend und essend, schlafend oder Skat spielend, vor sich hindösend oder lesend in der neuen PK-Zeitung: Der Führer sagt: Wir waren dem Sieg nie näher als jetzt! Der Russe ist ausgeblutet, sein Kriegspotential ist fast vernichtet … Deutsche Ingenieure schaffen neue Wunderwaffen!
    Wunder! Welch ein Krieg wurde durch ein Wunder gewonnen? Wo der Mensch den Glauben verliert, sollen ihn Wunder stärken.
    Der Zug ratterte durch die wogenden Roggenfelder. Das Korn stand hoch, prall und satt. Es wartete auf die Schnitter … aber sie legten nicht die Halme um, sondern fuhren nach Osten, um Menschen zu töten. 2.500 junge Menschen. Eine große Herde Mensch, grau, umgeben von Mief und Dunst. Schlachtvieh für die Unersättlichkeit des Krieges.
    Strakuweit lehnte sich an das Fenster und drehte sich eine Zigarette. Nach alter Gewohnheit hatte er alle Zigarettenkippen des zweimonatigen Genesungsurlaubs gesammelt und besaß jetzt eine fast viertelpfündige Tabaksammlung aller Provenienzen. Er würde auch wieder die Kippen der Kippen aufheben und dann wieder deren Kippen bis zum Tabak der letzten Zigarette. Eine Ausnutzung des Tabaks bis zum winzigen Krümel unter dem Fingernagel.
    »Ob mir der Alte Urlaub gibt?« fragte er. Er beleckte den Klebrand des Zigarettenpapiers und rollte die Zigarette zusammen. Leskau hob die Schultern.
    »Kunze bestimmt nicht!«
    »Wenn ich sage, ich

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