Die Rollbahn
wollte heiraten?«
»Dann antwortet dir Kunze: Strakuweit, Sie sind ein Idiot! Idioten sollten überhaupt nicht heiraten. Muß es sein, dann überlegen Sie, warum Sie das nette Mädchen unbedingt so früh zur Witwe machen wollen! Denn der Heldentod ist Ihre Rettung, Strakuweit … nach dem Krieg kommen Sie sowieso in eine Anstalt zum Schutze der Menschheit.«
Strakuweit verzog den Mund. Die Erinnerung an die Sprache Hauptfeldwebel Kunzes erzeugte einen bitteren Geschmack auf der Zunge.
»Und das Kind?«
»Kunze wird sagen: Unfall, Strakuweit. Hat Zeit bis nach dem Endsieg!«
Strakuweit seufzte laut. »Der ganze Krieg ist ein Mist!«
Leskau lächelte schwach. »Das merkst du jetzt erst?«
Strakuweit drehte sich herum. Sein breites Gesicht war eine Masse Schweiß und Ratlosigkeit.
»Ich habe nie darüber nachgedacht, Fritz. Ich habe mir immer gesagt: Die da oben befehlen: Schieß! Theo, schieß! Da habe ich geschossen. Und sie haben gesagt: Ihr verteidigt die Heimat! Ihr kämpft gegen Untermenschen! Gut, habe ich da gedacht, die müssen es ja wissen. Die haben mehr Grips im Kopf als ich … die sind studiert, die sind vom Volke gewählt, die stehen so weit oben, daß sie alles überblicken können! Und ich habe mich in den Dreck gelegt und habe geschossen! Fünf Jahre lang. Aber jetzt bekomme ich ein Kind, Fritz – und da sieht das alles ganz anders aus!« Er wischte sich mit seiner großen Bauernhand über das Gesicht. Sie war naß, als er sie zurückzog, und er putzte den Schweiß an der Hose ab. »Der Muschik bei Orscha hat doch auch Kinder, Fritz. Und wenn du ihn fragst: Brüderchen, warum schießt du auf mich? – dann wird er dir sagen: Towaritsch – iisch nicht weiß! Warum schiißt du? – Wer weiß es überhaupt? Die in Berlin? Was glaubst du, was die sagen, wenn wir den Krieg verlieren?«
Leskau sah sich um. Sie standen allein. »Halt's Maul, Theo«, sagte er grob.
Strakuweit schüttelte den Kopf. »Nee – wir wissen es selbst nicht! Das sagen sie! Und wir legen uns in den Dreck und verrecken –«
Strakuweit steckte die Hände in die Taschen. Sein Gesicht war starr. Zum erstenmal hatte er nachgedacht … nicht über andere, sondern über sich. Das erschütterte ihn dermaßen, daß er nicht wagte, weiterzusprechen, sondern in ein dumpfes Grübeln versank.
Durch den Gang zwängten sich drei Unteroffiziere der Feldgendarmerie und kontrollierten Urlaubsscheine und Marschbefehle.
»Die Urlaubsscheine!« schrie eine Stimme durch den Dunst. Ein blankes Schild blitzte. Ein Stahlhelm. »Schneller!« kommandierte die Stimme. »Der Urlaub hat euch wohl zu schlaffen Säcken gemacht, was? Wird Zeit, daß ihr zurückkommt!«
Der Mensch versank wieder. Er wurde eine Nummer. Ein Datum auf einem Urlaubsschein oder Marschbefehl. Eine Feldpostnummer, an die man schrieb: »Liebster Fritz, mein einzig Geliebter – ich kann die Tage nicht vergessen, die Du bei mir warst. Wenn der Abend kommt, ist Deine Stimme um mich … ich höre Deinen Atem, ich fühle Deine Hände … Gott beschütze Dich, mein Alles …« Und dann wird da eine andere Nummer sein, auf einem Blechschild, das man in der Mitte zerbrechen kann. Eine Erkennungsmarke. »Wie heißt der Tote? 2. Kompanie/35? Nr. 23.693? Danke. Wie gut, daß er die Marke um sich hatte … der Kerl ist ja bis zur Unkenntlichkeit zermatscht.«
Eine Marke mit einer Nummer. Um den Hals. Wie ein versteuerter Hund, damit er nicht entlaufen kann und man ihn immer wieder einfängt.
Der Zug ratterte durch die weite ostdeutsche Ebene. 2.500 Menschen … eine graue Schlange, stampfend und klirrend. Ein Lindwurm wie hundert andere, die an diesem Tage nach Osten fuhren.
Singende Räder … gleichmäßig, in einem höllischen, einfachen Takt … taktaktaktaktaktaktak …
Todtodtodtodtodtodtodtod …
2.500 Erkennungsmarken kehrten zurück –
In Dubrassna erschien Leutnant Vogel.
Sein Eintreffen war durch einen indiskreten Telefonanruf des Bataillonsschreibers angekündigt worden, und Hauptfeldwebel Kunze hatte sich Müller III kommen lassen und verkündet:
»Heute kochen wir einen Fraß, von dem selbst die Ratten eingehen! Vielleicht bekommen wir mehr Marketenderzuteilung!«
Die Eigenheiten Leutnant Vogels waren im Bataillon bekannt. Er kontrollierte immer und ohne Ausnahme die Feldküchen, weil er bei einem Schulungsabend des Unterführerkorps den Lehrsatz geprägt hatte: »Der deutsche Soldat ist so gut, wie er ißt!« Seitdem die Verpflegung spärlicher wurde, hatte
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