Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
Vom Netzwerk:
ein deutlich sichtbarer Schauder. »Oh, mein Gott«, stammelte ein Mann neben mir. Mir schnürte es fast die Kehle zu, und ich reagierte instinktiv – zum ersten Mal seit langer, langer Zeit –, indem ich mein Notizbuch hinter den Gürtel schob und nach meiner Uhr griff, um sie abzunehmen. Bei einem Straßenkampf ist immer zuerst die Armbanduhr futsch, und wenn man ein paar davon hat abschreiben müssen, entwickelt man einen Instinkt, der sich meldet, sobald es Zeit wird, das Ding vom Handgelenk zu nehmen und in einer sicheren Tasche zu verstauen.
    Was ich getan hätte, wäre die »Last Patrol« auf den Gedanken gekommen, die Polizeikette zu durchbrechen und das Fontainebleau zu stürmen, weiß ich nicht mit Gewissheit zu sagen, aber instinktiv und durch üble Erfahrungen aus der rauen Wirklichkeit klug geworden, kann ich es mir ziemlich gut vorstellen, und daher war das unerwartete Auftauchen des Kongressabgeordneten Pete McCloskey auf dem Schauplatz wie Balsam für meine Nerven. Er drängte sich durch die Polizeikette und redete anscheinend lange genug auf eine Handvoll VVAW-Sprecher ein, um sie davon zu überzeugen, dass ein Frontalangriff auf das Hotel gleichbedeutend mit Selbstmord wäre.
    Einer der Platoon-Führer lächelte milde und versicherte McCloskey, dass sie nie beabsichtigt hätten, das Fontainebleau anzugreifen. Sie wollten das Gebäude auch beileibe nicht wirklich betreten, sondern nur feststellen, ob die Republikaner die Kaltschnäuzigkeit besäßen, sie vor laufenden Fernsehkameras abzuweisen – was sie ja auch taten. Leider waren an jenem Nachmittag aber nur wenige Kameras an Ort und Stelle, um es zu dokumentieren. Die meisten Teams befanden sich in der Convention Hall, und diejenigen, die normalerweise auf Abruf am Fontainebleau lauerten, hatten sich draußen auf dem Flughafen postiert, um Nixons Ankunft zu filmen.
    Zweifellos gab es irgendwo Ersatzteams – und ich habe den Verdacht, dass sie mit ihren Teleobjektiven irgendwo auf einem Dach hockten, denn in den ersten Augenblicken, als sich die Vets massiv vor der Polizeikette aufbauten, deutete sehr viel darauf, dass es zu Gewalttätigkeiten kommen musste … aber man brauchte nur den Blick über die Gesichter hinter den Schutzmasken aus Plastik schweifen lassen, um zu erkennen, dass die Creme der Florida State Highway Patrol ganz und gar keine Lust auf ein öffentliches Scharmützel mit zwölfhundert zornigen Vietnamveteranen verspürte.
    Das wäre garantiert zu einem albtraumhaften Debakel für die Polizei geworden. Eine Niederlage wäre schlimm genug gewesen, ein Sieg aber absolut untragbar. Auf jedem Fernsehschirm in ganz Amerika hätten die Zuschauer miterleben können, wie eine kleine Armee schwer bewaffneter Florida-Cops unbewaffnete Veteranen niederknüppelt – einige davon an Krücken, andere in Rollstühlen –, deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie Zugang zum Hauptquartier der Republikaner in Miami Beach gefordert hatten. Wie hätte Nixon das erklären sollen? Hätte er sich auch da herauswinden können?
    »Niemals, zur Hölle!«, dachte ich – und um das hier eskalieren zu lassen, brauchten nur ein oder zwei Vets die Kontrolle zu verlieren und durch die Polizeikette zu brechen: Gerade genug Gewaltanwendung, um einen einzigen Cop seinen Schlagstock schwingen zu lassen. Der Rest würde sich von allein ergeben.
    Albträume über Albträume … Nicht mal Sammy Davis jr. könnte eine so krasse Ungeheuerlichkeit ertragen. Er würde den Nixon-Familienbesitz in Key Biscayne sofort nach der ersten Presseverlautbarung fluchtartig verlassen und vor seinem neuen Seelenbruder Reißaus nehmen wie ein Saugfisch, der sich schleunigst von einem tödlich verletzten Hai löst … und am nächsten Tag würde in der Washington Post stehen, dass Sammy Davis jr. den größten Teil der vergangenen Nacht mit dem Versuch zugebracht hatte, sich durchs Schlüsselloch von McGoverns Wohnungstür in Washington, D. C., einzuschleimen.
    Genau … aber nichts dergleichen geschah. McCloskeys Auftauchen schien sowohl die Massen wie die Cops zu besänftigen. Zur einzigen Handgreiflichkeit des Nachmittags kam es Augenblicke später, als sich eine 20-jährige Blondine namens Debby Marshal unflätig pöbelnd auf einer 125er-Honda den Weg durch die Menge bahnen wollte. »Aus dem Weg da!«, schrie sie unablässig. »Das ist doch lachhaft! Diese Leute sollten dahin verschwinden, wo sie hingehören!«
    Die Vets beachteten sie nicht, aber auf halbem Weg stieß

Weitere Kostenlose Bücher