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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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sie auf ein Nest von Pressefotografen, und dann ging es nicht mehr weiter. Eine Stunde später saß sie noch immer dort, biss sich auf die Lippen und jammerte, wie »lachhaft« doch alles sei. Ich war schon drauf und dran, mich vorzubeugen und mit meinem Zippo ihr Haar in Flammen zu setzen, aber inzwischen hatte sich die gesamte Situation entspannt, und eine Reihe von Veteranen verschaffte sich mit dem Megafon Gehör. Wenn man jedoch weiter als fünf Meter von dem Redner entfernt war, konnte man kaum etwas verstehen, denn plötzlich waren zwei Hubschrauber über der Straße aufgetaucht, und der Lärm ihrer Rotoren verschluckte alles. Der einzige Redner der Vets, der trotz des Krachs deutlich zu verstehen war, hieß Ron Kovic und war ein ehemaliger Marine-Sergeant aus San Diego. Er saß im Rollstuhl, weil seine Beine gelähmt waren.
    Ich hätte gern eine Abschrift oder zumindest eine Tonaufnahme dessen, was Kovic an jenem Tag sagte, denn er geißelte die Zuhörer mit Worten wie Peitschenhiebe. Hätte Kovic vom Podium in der Convention Hall und vor den Fernsehkameras sprechen dürfen, hätte Nixon niemals den Mumm besessen, sich zu zeigen und die Nominierung zu akzeptieren.
    Nein … ich fürchte, das ist Wunschdenken. Nichts Menschenmögliches hätte Nixon daran hindern können, die Nominierung anzunehmen. Selbst wenn der Herrgott persönlich in Miami aufgetreten wäre und Nixon vom Podium aus angeprangert hätte, wären gedungene Schergen vom »Komitee zur Wiederwahl des Präsidenten« aufgetaucht und hätten den Allmächtigen wegen »Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung« umgehend festgenommen.
    Vietnamveteranen wie Ron Kovic sind in Nixons Weißem Haus nicht willkommen. Sie versuchten bereits letztes Jahr, vorgelassen zu werden, aber sie kamen nur so weit heran, dass sie ihre Kriegsorden über den Zaun werfen konnten. Das dürfte die deutlichste Erklärung gegen den Krieg gewesen sein, die in diesem Land je abgegeben wurde, aber der Schweigemarsch zum Fontainebleau am 22. August war ganz sicher ein ebenso schmerzhafter Stachel im Fleisch der Regierenden.
    Es gibt im heutigen Amerika keine Gruppierung gegen den Krieg oder auch das Establishment, die einen solchen Einfluss auf die Psyche des Landes hat wie die VVAW. Nicht einmal die dekadenten Schweine an Deck der »Wild Rose« können die Augen vor den Opfern verschließen, die Ron Kovic und seine Kameraden gebracht haben. Als Golems kehren diese Männer wieder und suchen uns alle heim – auch Richard Nixon, der sich 1968 mit dem Versprechen um die Präsidentschaft bewarb, er habe einen »Geheimplan«, um den Krieg in Vietnam zu beenden.
    Und das stimmte auch, wie sich herausstellte: Der Plan bestand darin, den Krieg gerade rechtzeitig zu beenden, um 1972 wiedergewählt zu werden.
    Noch mal vier Jahre.

Fat City Blues
    26. Oktober 1972
    So höre mich denn, mein Volk: Wir haben es jetzt mit einer anderen Rasse zu tun – noch klein und schwächlich, als unsere Väter erstmals auf sie trafen, jetzt aber groß und tyrannisch. Seltsamerweise steht ihnen der Sinn danach, den Boden zu bestellen, und die Liebe zum Besitz ist eine Krankheit, die sie haben. Diese Menschen haben viele Regeln geschaffen, welche von den Reichen gebrochen werden dürfen, von den Armen jedoch nicht. Sie erheben den Zehnten von den Armen und Schwachen, um die Reichen zu unterstützen und diejenigen, die herrschen.
    – Häuptling Sitting Bull in seiner Rede
bei der Powder-River-Konferenz 1877
    Hätte McGovern einen halb so redegewandten Ghostwriter wie Sitting Bull, wäre er heute aus dem Schneider – statt 22 Punkte zurückzuliegen und von einem Fettnäpfchen zum anderen durchs ganze Land zu hetzen. Die Powder-River-Konferenz ging vor fünfundneunzig Jahren zu Ende, aber die bitteren Worte des alten Häuptlings darüber, wie der weiße Mann den amerikanischen Kontinent vergewaltigte, waren damals ebenso stimmig, wie sie es heute wären, käme er aus dem Reich der Toten zurück und formulierte sie während der Hauptsendezeit vor den Mikrofonen der Fernsehstationen. Der üble Fallout des amerikanischen Traums regnet seit den Zeiten Sitting Bulls mit ziemlicher Beständigkeit auf uns nieder – und jetzt, da der Wahltag 1972 nur noch wenige Wochen entfernt ist, besteht der einzige Unterschied darin, dass wir offenbar drauf und dran sind, diesen Fallout gutzuheißen und den Traum selbst zu vergessen.
    Sitting Bull machte keinen Unterschied zwischen Demokraten und Republikanern – und dazu

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