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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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gab es wahrscheinlich auch keinen Anlass, weder 1877 noch irgendwann sonst –, aber es stimmt auch, dass Sitting Bull niemals die Erniedrigung erfuhr, in Richard Nixons Presseflugzeug mitzufliegen. Und es wurde ihm auch nie das zweifelhafte Vergnügen zuteil, sich mit Ron Ziegler auseinandersetzen zu müssen oder gar John Mitchell kennenzulernen, Nixons Ober-Deichsler.
    Hätte der alte Häuptling der Sioux derlei je durchmachen müssen, wäre er, glaube ich – trotz seiner ingrimmigen Verachtung für den weißen Mann und alles, wofür er steht –, einer von denen, die derzeit für George McGovern Überstunden machen.
    Die beiden letzten Wochen sind für mich relativ ruhig verlaufen. Sofort nach dem Parteitag der Republikaner in Miami schleppte ich mich zurück in die Rockies und versuchte, für eine Weile jegliche Politik zu vergessen – lag nur nackt auf der Veranda in der kühlen Nachmittagssonne und sah zu, wie sich die Espen auf den Bergen um mein Haus herum golden färbten; mixte mir einen Riesenkanister Gin und Grapefruitsaft, sah den Pferden zu, wie sie einander auf der Weide jenseits der Straße mit den Nüstern liebkosten, schichtete des Abends große Holzscheite in den Kamin; Herbie Mann, John Prine und Jesse Colin Young dröhnten aus den Boxen … ab und zu eine Spritztour in die Stadt auf einer Nebenstraße oberhalb des Flusses: ins Fitnesscenter auf eine Runde Volleyball, dann hinüber in Bentons Galerie, um mich auf den neuesten Stand zu bringen, was die einheimischen Raffzähne an Betrügereien gestartet hatten, während ich nicht da war, und um die Spätnachrichten im Fernsehen anzuschauen und McGovern dafür zu verfluchen, dass er ein weiteres Leck ins eigene Boot geschlagen hatte; anschließend noch kurz auf dem Heimweg bei Jerome anhalten, um mit Solheim das Mitternachtsbier zu kippen. Nach zwei Wochen dieses ebenso friedvollen wie menschlichen Terminplans war das Letzte, woran ich denken mochte, die grausige Aussicht auf zwei weitere wahnwitzige Monate Wahlkampfreise. Besonders wenn es bedeutete, am Ende hierher zurückzukehren, um einen verwickelten, schmerzvollen Autopsiebericht zu schreiben: Was ist bei der McGovern-Kampagne falsch gelaufen? Warum ist sie fehlgeschlagen? Wessen Schuld war es? Und schließlich – was nun?
    Das war das eine Projekt. Und das andere war: Irgendwie als Kamel durchs feine Nadelöhr des Sicherheitsschutzes des Weißen Hauses zu schlüpfen und dann mit Richard Nixon auf den »campaign trail« zu gehen, zuzusehen, wie er in die Zielgerade biegt – und sei es nur, um eine Ahnung davon zu kriegen, wie er tickt, seine Bewegungen zu beobachten, seine Augen. Macht einen reichlich nervös, wenn man bedenkt: Nicht nur vier weitere Jahre für Nixon, sondern Nixons letzte vier Jahre in der Politik – zum ersten Mal ist er total befreit von jeder Sorge darum, wer ihm das nächste Mal seine Stimme gibt.
    Wenn er im November gewinnt, dann kann er endlich tun und lassen, was er will … oder vielleicht ist »was er will« für den Augenblick ein zu starkes Wort: Es beschwört Schreckensbilder von Papa Doc, Batista, Somoza herauf; Gefängnisse voller verstörter »politischer Gefangener« und die ständige, kalten Schweiß treibende Angst vor Knobelbechern, die um vier Uhr in der Früh plötzlich die Tür aus den Angeln treten.
    Es hat keinen Sinn, sich etwas darüber vorzumachen, was Richard Nixon für Amerika wirklich will. Wenn er im Weißen Haus am Fenster steht und hinausblickt auf eine Anti-Kriegs-Demonstration, dann sieht er keine »Dissidenten«, sondern er sieht Kriminelle. Gefährliche Parasiten, die sich daranmachen, einen Schlag gegen das Herz des großartigen amerikanischen Systems zu führen, das ihn dorthin gebracht hat, wo er heute steht.
    Es mag nicht viel Unterschied zwischen den Demokraten und den Republikanern bestehen; das habe ich selbst behauptet – mit beträchtlicher Gehässigkeit, wie ich mich erinnere –, und zwar während der letzten zehn Monate … Aber nur ein blinder Dämlack oder Strohkopf würde nicht den Unterschied zwischen McGovern und Richard Nixon bemerken. Zugegeben, beide sind Weiße, und beide sind Politiker – aber da hört die Ähnlichkeit auch schon auf, und von da an wird der Unterschied so gigantisch, dass jeder, der ihn nicht wahrnimmt, alles, was ihm widerfährt, auch verdient, sollte Nixon tatsächlich aufgrund von Apathie, Dummheit oder Faulheit unter den potenziellen McGovern-Wählern wiedergewählt werden.
    Die Tragödie

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