Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
drohend gegen Huntley und Brinkley in der NBC-Loge – und zu guter Letzt griffen sie sich ihre Stühle mit beiden Händen und schmetterten sie gegen Stühle, auf denen andere Delegierte noch immer standen.
Eine denkwürdige Vorstellung, so unauslöschlich in meinen grauen Gehirnzellen gespeichert wie der Anblick der Prügelcops vier Jahre später an der Ecke Michigan und Balbo … aber die Nixon Convention in Miami war beileibe nicht mit Chicago 68 zu vergleichen. Klar, der ätzende Gestank von Tränengas und die brennenden Augen weckten Erinnerungen, aber nur oberflächlich. Am Mittwoch gegen Mitternacht fand ich mich völlig blind durch die Gegend torkelnd auf der Washington Avenue vor der Convention Hall wieder, rempelte ständig irgendwelche Cops an, die schwarze Gasmasken aus Gummi trugen, und Demonstranten, die sich nasse Handtücher auf die Gesichter pressten. Viele Cops trugen Militärjacken und schwenkten Hickory-Knüppel … aber niemand schlug mich, und trotz Gas und Chaos hatte ich nie das Gefühl, in Gefahr zu geraten. Als das Tränengas jedoch so schlimm wurde, dass ich nicht mehr wusste, in welche Richtung ich mich bewegte, stolperte ich auf den nächstbesten Rasen und tastete mich an der Außenwand eines Hauses entlang, bis ich einen Wasserhahn fand. Ich setzte mich ins Gras und tränkte mein Taschentuch unter dem Hahn. Ohne zu reiben, presste ich es aufs Gesicht, bis ich wieder etwas sah. Als ich endlich aufstehen konnte, stellte ich fest, dass mindestens ein Dutzend Cops die ganze Zeit weniger als zehn Meter entfernt von mir gestanden hatten. Statt mir ihre Hilfe anzubieten, hatten sie nur zugeschaut – mich aber wenigstens nicht zu blutigem Brei geschlagen.
Das war der Unterschied zwischen Chicago und Miami. Oder zumindest einer der wesentlichen Unterschiede. Wenn mich die Cops in Chicago erwischt hätten, wie ich bei jemandem durch den Vorgarten kroch, mit einem Presseabzeichen und blind vom Tränengas, hätten sie mir zuerst so gut wie alle Rippen gebrochen und mich dann wegen »Widerstands gegen die Staatsgewalt« in Gewahrsam genommen und in Handschellen abgeführt. So oft hatte ich das miterlebt, dass mir noch immer die Galle hochkommt, wenn ich daran denke.
Eine böswillige Attacke auf die Demonstranten … Die stille Belagerung des Fontainebleau … »Diese Leute sollten dahin verschwinden, wo sie hingehören!«
Am Dienstagnachmittag verschwand mein Wagen. Ich hatte ihn vor dem Hotel auf der Straße abgestellt, als ich nur schnell meine Badehose holen ging, und als ich wiederkam, war er verschwunden. Scheiße auch, dachte ich, es wird Zeit, aus Miami abzuhauen.
Ich ging hinauf in mein Zimmer und überlegte eine Weile. Dabei kehrte ich meiner Schreibmaschine den Rücken und blickte hinaus auf die großen hochseetüchtigen Jachten und luxuriösen Hausboote, die auf der anderen Straßenseite an den Piers des Indian Creek vertäut lagen. Noch letzte Woche fanden dort Cocktailpartys statt, auf denen sich zahlreiche Gäste tummelten. Jedes Mal, wenn in der Lobby des Fontainebleau geraunt wurde, dass schon wieder eine Horde von Demonstranten vom Flamingo Park her aufs Hotel zusteuerte, füllten sich die Boote auf der anderen Seite der Collins Avenue mit lachenden Delegierten der Republikaner in gestreiften Blazern und Cocktailkleidern. Es gebe keinen besseren Platz, sagten sie, um zuzusehen, was sich auf der Straße tat. Als sich die Demonstranten dem Vordereingang des Hotels näherten, sahen sie sich zu einem Spießrutenlaufen gezwungen: für Krawall gerüstete Polizisten auf der einen Seite und an ihren Martinis nippende GOP-Delegierte auf der anderen.
Eine Jacht – die »Wild Rose« aus Houston – kreuzte bei jeder Demonstration dicht am Ufer hin und her. Von der Mitte der Collins Avenue aus konnte man die Gäste erkennen, die sich auf Liegestühlen aalten und die Geschehnisse mit starken Ferngläsern beobachteten. Dabei griffen sie ab und zu nach hinten, um sich von einem Decksteward in weißem Jackett mit goldenen Epauletten einen neuen Drink servieren zu lassen.
Was sich auf dem Vorderdeck der »Wild Rose« abspielte, war so obszön, so himmelschreiend dekadent, dass es schwerfiel, keinen Vergleich zur blutrünstigen Arroganz zu ziehen, die man normalerweise mit den letzten Tagen des römischen Imperiums assoziiert: Hier hatten wir eine Horde reicher Texaner vor uns, die auf einer 100000-Dollar-Jacht vor dem palastartigen Miami Beach Hotel umherschipperten und vor lauter Vorfreude
Weitere Kostenlose Bücher