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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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Mich einfach davonzumachen und für ein paar Stunden nackt im Ozean treiben zu lassen …
    Aber als ich Richtung Key Biscayne fuhr, das Verdeck runtergeklappt und in die Sonne blinzelnd, sah ich die Vets … Schweigend bewegten sie sich die Collins Avenue hinauf, zwölfhundert von ihnen, in Kampfanzügen, mit Helmen und in Kampfstiefeln … einige trugen täuschend echte M-16 aus Plastik bei sich, viele zeigten die diversen Peace-Symbole; Vets, die im Rollstuhl saßen, wurden von ihren Freundinnen geschoben, andere humpelten auf Krücken … aber niemand sprach: Alle Kommandos wie »stopp, weiter«, »schnell, langsam« und »rechts, links« wurden von den »platoon leaders« gegeben, die außerhalb der Marschkolonne seitlich mitgingen und Handsignale gaben.
    Nach einem Blick auf diese gespenstische Prozession erledigte sich mein Plan, an diesem Nachmittag schwimmen zu gehen, von selbst. Ich stellte meinen Wagen an einer Parkuhr vorm Cadillac Hotel ab und reihte mich in den Demonstrationszug ein … nein, »einreihen« ist nicht das richtige Wort. Dieser Schweigemarsch war keiner, in den man sich mir nichts, dir nichts einreihte. Nein, man musste schon was vorzuweisen haben: hier einen fehlenden Arm, da ein Bein, eine Querschnittlähmung oder ein Gesicht, das vor lauter wucherndem Narbengewebe nicht mehr zu erkennen war … und sie alle blickten unverwandt geradeaus, während sich die lange, schweigende Kolonne durchs Herz von Miami Beach bewegte, entlang an Reihen von Hotelterrassen, auf denen Rentner mit zusammengekniffenen Lippen standen und gafften.
    Die Stille war ansteckend, fast schon einschüchternd. Hunderte von Schaulustigen standen am Straßenrand, aber niemand sagte einen Ton. Zehn Blocks weit ging ich neben der Kolonne her, und ich erinnere mich einzig an das Geräusch der schweren Lederstiefel auf dem heißen Asphalt und das gelegentliche Klappern der Blechdeckel von Proviantdosen.
    Das Fontainebleau war bereits von 500 schwer bewaffneten Polizisten zur Straße hin völlig abgeschirmt, als die Spitze der »Last Patrol« eintraf. Noch immer marschierten die Veteranen schweigend. Mehrere Stunden zuvor war eine lärmende Horde von Yippie/Zippie/SDS-»Nicht-Delegierten« vor dem Fontainebleau aufgetaucht und mit lauten Buhrufen und Beschimpfungen von den GOP-Delegierten und anderen parteiischen Zuschauern empfangen worden, die sich hinter den Polizeiketten massenhaft versammelt hatten … Aber jetzt wurde nicht gepöbelt. Sogar die Cops wirkten kleinlaut. Durch das Plastik ihres Gesichtsschutzes beobachteten sie nervös, wie die Platoon-Führer der VVAW die Marschkolonne weiterhin ausschließlich mit Handsignalen zu einem Halbkreis dirigierten, der alle drei nach Norden führenden Fahrbahnen der Collins Avenue blockierte. Bei früheren Demonstrationen – mindestens sechs während der vergangenen drei Tage – hatte die Polizei die Leute mit Schlagstöcken erst einmal nur zurückgestoßen, damit zumindest eine Fahrspur für den örtlichen Verkehr frei blieb; und als in einem Fall der eher zurückhaltende Gebrauch der Schlagstöcke unwirksam blieb, starteten die Cops einen Sturmangriff auf die Demonstranten und prügelten die Straße frei.
    Das war jetzt anders. Zum ersten und einzigen Mal während des Nominierungsparteitags waren die Cops offenbar ratlos. Die Vets hätten alle sechs Fahrspuren der Collins Avenue blockieren können, wenn sie gewollt hätten, und niemand hätte sie zur Rede gestellt. Seit Winter 1964 habe ich mit niederschmetternder Regelmäßigkeit über Anti-Kriegs-Demonstrationen im ganzen Land berichtet und niemals Cops gesehen, die von den Demonstranten derart eingeschüchtert waren wie diejenigen, die an jenem heißen Dienstagnachmittag in Miami Beach ihren Dienst vorm Fontainebleau Hotel taten.
    Der immer noch schweigende Protest der Demonstranten steigerte die Spannung fast bis ins Unerträgliche. Nicht einmal die Bande reicher Prasser auf dem Vorderdeck der »Wild Rose« aus Houston hielt es bei dieser Show auf ihren Sitzplätzen. Sie standen an der Reling, machten belämmerte Gesichter und fragten sich wegen der üblen Schwingungen, die sogar sie spürten, was dort draußen auf der Straße vorgehen mochte. War irgendwas nicht in Ordnung mit ihren Gladiatoren? Waren sie verhext? Und warum war kein Laut zu hören?
    Nach weiteren fünf Minuten harscher Stille griff einer der VVAW-Anführer zum Megafon und forderte: »Wir wollen da rein!«
    Niemand antwortete, aber die Menge durchlief

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