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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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über das ganze Gesicht gerade so, als hätte sie im Alleingang Edwards’ Wahlsieg durchgeboxt.
    Danach machten wir uns um den Bürgermeister keine Gedanken mehr. Es waren keine Schlägertrupps mit Totschlägern aufgetaucht, keine Polizeikräfte zu sehen, und Benton hatte sich im Wahllokal fest etabliert. Im Wahlbezirk 2 und 3 waren die wahlberechtigten Freaks nicht so stark vertreten, und alles ging geschmeidig seinen Gang. Genau genommen war es sogar einer unserer offiziellen Wahlbeobachter (ein Drogenheini mit einem Bart von über einem halben Meter Länge), der im Wahlbezirk 2 durch sein aggressives Verhalten eine Panik unter einigen Dutzend Normalos verursachte. Der Stadtsyndikus rief Edwards an und beschwerte sich, dass irgendein potthässlicher Irrer von einer 75-jährigen Frau verlangte, ihre Geburtsurkunde vorzulegen, bevor er ihr erlaubte, ihren Stimmzettel einzuwerfen. Wir waren gezwungen, den Mann auszutauschen. So vorbildlich sein Eifer auch sein mochte, fürchteten wir dennoch, dass er Vergeltungsaktionen nach sich ziehen würde.
    Genau das war ohnehin schon die ganze Zeit über unser Problem gewesen. Wir hatten versucht, einen großen Teil des Undergrounds zu mobilisieren und zur Stimmabgabe zu bewegen, ohne gleichzeitig die »braven Bürger« so sehr zu verängstigen, dass sie Gegenmaßnahmen ergriffen. Leider funktionierte das nicht richtig – hauptsächlich weil der Großteil unserer besten Leute ebenfalls langhaarig und ziemlich auffällige Gestalten waren. Unser Eröffnungscoup – die Mitternachtskampagne zur Wählerregistrierung – war eine Blitzaktion von zwei bärtigen Heads, Mike Solheim und Pierre Landry, die bei Nacht und Nebel die Straßen und Bars abgrasten wie zwei wild gewordene Junkies, um hochgradig apathische Hippies und Artverwandte dazu zu bewegen sich in die Wählerlisten einzutragen.
    In Aspen wimmelt es von Freaks, Heads, Partyvolk und Nachtgestalten aller Art … doch die meisten von ihnen würden sich eher in den Knast sperren lassen oder Stockhiebe auf die Fußsohlen ertragen, als sich dem Horror auszusetzen, sich als Wähler registrieren zu lassen. Anders als der Großteil der Spießbürger und Geschäftsleute kostet es den Aussteiger Überwindung , von seinem Wahlrecht endlich Gebrauch zu machen. Dabei bedeutet es keinerlei Aufwand oder Risiko, allenfalls zehn Minuten Small Talk, und dennoch windet sich der durchschnittliche Aussteiger bei den Gedanken daran, sich in eine Wählerliste einzutragen, wie ein Aal. Die psychologischen Hemmschwellen, »sich wieder mit dem System einzulassen« usw. sind turmhoch … und wir mussten in Aspen lernen, dass es keinen Zweck hat, jemanden zu überreden, einen solchen Schritt zu unternehmen, solange man dafür nicht sehr gute Gründe ins Feld führen kann. Wie beispielsweise einen Kandidaten, der völlig aus dem Rahmen fällt … oder irgendetwas Sensationelles.
    Das zentrale Problem, mit dem wir letzten Herbst zu kämpfen hatten, war die Kluft zwischen der Head-Kultur und politischem Aktivismus. War zu Beginn der amerikanischen Gegenkultur in Berkeley noch die Parole ausgegeben worden, das Schweinesystem kämpfend zu besiegen, so machte diese Einstellung im Gefolge der albtraumhaften Niederlagen während der Jahre von 1965 bis 1970 der abgestumpften Überzeugung Platz, dass es besser war, die Flucht zu ergreifen oder in Deckung zu gehen, als sich mit den Schweinhunden auf irgendwelche Scharmützel einzulassen, die auch nur entfernt den Eindruck machten, als würden sie nach deren Regeln ausgefochten.
    Unsere Kampagne zur Wählerregistrierung zielte fast ausschließlich auf die Head/Aussteiger-Szene ab, die mit politischem Aktivismus nicht das Geringste am Hut hatte, weshalb es eine Heidenarbeit war, diese Leute dazu zu bewegen, sich in das Wählerverzeichnis eintragen zu lassen. Ein Großteil von ihnen wohnte seit fünf oder sechs Jahren in Aspen, und was sie abhielt, war weniger die Angst, wegen Wahlbetrugs verurteilt zu werden, als der Wunsch, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Die meisten von uns leben hier, weil ihnen die Vorstellung gefällt, zur Haustür hinauszutreten und beim Anblick dessen, was sich vor einem ausbreitet, zu lächeln. Auf meiner Veranda wächst eine Palme aus einer himmelblauen Kloschüssel … und von Zeit zu Zeit laufe ich splitternackt draußen herum und ballere mit meiner .44er-Magnum auf diverse Gongs, die ich auf dem Abhang gegenüber in den Bäumen aufgehängt habe. Manchmal gönne ich mir eine

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