Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
heutzutage eine Menge Leute, die sich in Bezug auf Jimmy Carter unsicher sind, ihn als Präsidenten wünschen würden, wenn er es fertigbrächte, eine aktuelle Version der Rede zum Law Day 1974 im landesweiten Fernsehen zu halten … Oder meinetwegen genau die gleiche Rede, scheiß drauf; und auch wenn das Publikum anderswo mit der ein oder anderen Anspielung auf irgendwelche obskuren Richter, Grundschullehrer und Provinzgerichte in den hintersten Winkeln Georgias nichts oder wenig anzufangen wüsste, bin ich doch der Meinung, dass die Rede in ihrer Gesamtheit die gleiche Wirkung erzielen würde wie vor zwei Jahren.
Doch das wird aller Wahrscheinlichkeit nicht passieren … was uns zu einem anderen bemerkenswerten Aspekt dieser Rede bringt: Sie hatte zu dem Zeitpunkt, als er sie hielt, nicht die geringste Wirkung – außer auf die Leute, die sie hörten, und von denen waren die meisten eher irritiert und verwirrt als beeindruckt. Sie waren nicht gekommen, um sich anzuhören, wie jemand Anwälte als Steigbügelhalter des Status quo bezeichnete, und in meinem Kopf – vermutlich geht es Jimmy Carter da nicht viel anders – spukt nach wie vor die Frage herum, was er ursprünglich zu diesem Anlass hatte sagen wollen. Es gab keinen schriftlich fixierten Redetext, keine Presse, die darüber berichten konnte, kein Publikum, das die Rede unbedingt hören wollte, und eigentlich auch keinen wirklichen Grund, sie zu halten – außer dass Jimmy Carter an jenem Tag ein paar ernste Dinge durch den Kopf gingen und er wohl zu der Ansicht gelangt war, dass es Zeit war, diese einmal auszusprechen, ob es seinen Zuhörern gefiel oder nicht …
Was uns zu einem weiteren interessanten Aspekt der Rede bringt: Auch wenn Carter selbst heutzutage diese Rede als »die beste, die ich je gehalten habe«, bezeichnet, hat er es bis dato nicht geschafft, eine zweite von gleichem Kaliber nachzulegen – oder wenigstens die besten Passagen, Bilder und Ideen aus dieser Ansprache in seine derzeitigen Reden einzubauen –, und sein Wahlkampfstab hat dieser Ansprache so wenig Bedeutung beigemessen, dass der einzige Tonbandmitschnitt irgendwo in den Archiven verschüttgegangen ist und bis vor zwei Monaten die einzige existierende Kopie diejenige war, die ich von dem Original gezogen hatte, bevor es verloren ging. Ich habe dieses Ding zwei Jahre lang mit mir herumgeschleppt und es in den unmöglichsten Situationen immer wieder Freunden vorgespielt, die mich bei der Ankündigung, dass sie die nächsten fünfundvierzig Minuten damit zubringen müssten, sich eine politische Rede des Exgouverneurs von Georgia anzuhören, mit einem Ausdruck im Gesicht anstarrten, als sei ich gerade endgültig dem Wahnsinn anheimgefallen.
Erst als ich 1976 bei den Vorwahlen in New Hampshire und Massachusetts auftauchte und meine Kassette ein paar Freunden, Journalisten und sogar einigen Topleuten aus Carters Stab vorspielte, bemerkte Pat Caddell, dass nahezu jeder, der die Rede hörte, davon genau so beeindruckt war wie ich … Doch selbst jetzt, nachdem Caddell fünfzig Kopien davon gezogen hat, wissen die Typen in Carters Denkfabrik nicht, was sie damit anfangen sollen.
Ich selbst weiß auch nicht so genau, was ich damit anstellen würde, wenn ich Carter wäre, denn es ist gut möglich, dass genau die Qualitäten, die die Law-Day-Ansprache für mich so bemerkenswert machten, bei seiner neuen landesweiten Zielgruppe genau den gegenteiligen Effekt erzielen würde. Die Stimme, die ich auf dem Band höre, ist dieselbe, die der Großteil der guten, konservativen Leute da draußen während des Wahlkampfs so ansprechend empfunden hat, doch nur wenige von ihnen würden sich auch nur ansatzweise mit dem identifizieren, was diese Stimme von sich gibt. Der Jimmy Carter, der eine Vorwahl nach der anderen mit so triumphaler Leichtigkeit absolvierte, indem er sich einfach auf die Mitte der Fahrbahn setzte und die breite Masse der Demokratischen Partei ansprach, ist ein besonnener, konservativer und manchmal fast schon ätherischer, baptistischer Sonntagsschullehrer, der vor allem eine Rückkehr zur Normalität verspricht, eine Wiederherstellung des nationalen Selbstvertrauens und eine schmerzfreie Erlösung von allen Schrecken und Enttäuschungen des Watergate-Skandals. Sobald Präsident Carter mit fester Hand das Ruder führt, wird das Staatsschiff wieder dauerhaft auf den rechten Kurs kommen, und all die Ganoven und Schwindler und Diebe, die es während der turbulenten
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