Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
irgendwann langweilig wird, werfen Sie einfach mal einen Blick in irgendein SS-Auto, das in Ihrer Nähe steht. Sie brauchen dazu nicht einmal einen Schlüssel; mit einem anderthalb Meter langen Stemmeisen kriegen Sie das Ding bei korrekter Anwendung genauso leicht auf wie bei jedem anderen Wagen … Aber lassen Sie Vorsicht walten, denn diese Herren bewahren darin ein Sortiment von etwa neunundsechzig Totmachern der schnellsten Sorte auf. Sogar mir wurde kurz schwindlig von dem Anblick des Waffenarsenals, das sich vor mir ausbreitete: Maschinengewehre, Gasmasken, Handgranaten, Patronengürtel, Tränengaskanister, Munitionskisten, kugelsichere Westen, Ketten, Sägen und was weiß ich noch alles … Doch dann bemerkte ich plötzlich zwei Studenten, die auf dem Gehweg vorbeigekommen und neben mir stehen geblieben waren und von denen einer nun sagte: »Allmächtiger Gott! Sieh dir den ganzen Kram da mal an!«
Worauf ich schnell mein Glas mit Wild Turkey auffüllte, die Flasche in den Kofferraum zurücklegte und den Deckel zuschlug wie bei einem ganz normalen Wagen … Und in diesem Augenblick sah ich Jimmy Carter, der mit gesenktem Kopf auf mich zurauschte, seine Zähne gebleckt und seine Augen geweitet wie bei einer Fledermaus nach dem Winterschlaf …
Was? Nein. Das war später an jenem Tag, bei meinem dritten oder vierten Ausflug mit dem Eisteeglas zum Kofferraum. Mittlerweile sitze ich seit fünfzig oder fünfundfünfzig Minuten wie angewurzelt hier und zerbreche mir den Kopf, wo dieses letzte Bild herkam. Ich habe sehr lebhafte Erinnerungen an jenen Tag, zumindest über weite Strecken, und je mehr ich nun darüber nachdenke, desto sicherer bin ich mir, dass das, was ich da in gebeugter Haltung mit flatternden Armen auf mich zurauschen sah, nicht Gouverneur Carter war. Möglicherweise war es ein buckliger Student auf dem Weg zu seinem Abschlussexamen in Landschaftsgärtnerei, oder vielleicht ging er nur sehr eilig und versuchte sich gleichzeitig die Schuhe zuzubinden … oder vielleicht war es auch gar nichts; in meinem Notizbuch ist jedenfalls nicht erwähnt, dass sich irgendein Wesen in atemberaubender Geschwindigkeit und gebückter Haltung an mich herangeschlichen hätte, während ich bei dem Geheimdienstwagen stand.
In meinen Notizen steht vielmehr, dass Jimmy Carter kurz nach Kennedy bei der Cafeteria ankam – und wenn er die Aufmerksamkeit der Menge erregt hätte, die gekommen war, um Teddy zu sehen, hätte ich das wahrscheinlich bemerkt und zumindest eine kleine Notiz angefügt, um den Unterschied in der Erscheinung der beiden Männer festzuhalten – in etwa so: »12 : 09, Carter taucht in der sich langsam fortbewegenden Menge hinter TK auf. Keine Autogramme, keine Leibwächter. Die Levi’s gegen einen blauen Anzug aus Kunstfaser getauscht///niemand begrüßt ihn, niemand erkennt ihn, er ist nichts weiter als ein kleiner Mann mit sandfarbenem Haar, der sich umschaut, ob es jemanden gibt, dem er die Hand schütteln kann …«
Eine solche Notiz hätte ich mir vermutlich gemacht, wenn ich seine Anwesenheit bemerkt hätte, was aber nicht der Fall war. Denn bis um etwa zehn Uhr am Abend der Vorwahlen in New Hampshire nahezu zwei Jahre später gab es für einen Journalisten kaum einen Grund, sich Notizen über den Zeitpunkt und die Art des Auftretens von Jimmy Carter zu machen, egal um welchen Anlass es sich dabei handelte und schon gar nicht in Zusammenhang mit einer Gelegenheit, bei der das Publikum gekommen war, um sich an politische Schwergewichte wie Teddy Kennedy und Dean Rusk ranzuschleimen. Jimmy Carter ist keine imposante Erscheinung, und selbst jetzt, wo sein Gesicht fast jeden Abend auf sämtlichen Fernsehbildschirmen des Landes zu sehen ist, bin ich immer noch versucht, 100 gegen 500 Dollar zu wetten, dass er ohne Begleitung am helllichten Tag von einem Ende des riesigen Chicagoer O’Hare Airport zum anderen spazieren könnte, ohne von irgendjemandem erkannt zu werden.
Ach ja … aber darüber brauchen wir derzeit ja wohl kaum noch Worte zu verlieren, oder?
Das Einzige, woran ich mich im Zusammenhang mit der ersten Stunde des Festbanketts erinnere, ist das starke Gefühl der Niedergeschlagenheit angesichts des Lebens, auf das ich gerade zusteuerte. Auf dem Programm stand eine lange Reihe von Reden, Anmerkungen, Kommentaren usw., die juristische Fakultät betreffend. Carter und Kennedy waren die letzten beiden auf der Liste, was bedeutete, dass es keine Hoffnung gab, dem Ganzen vorher zu
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