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Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Titel: Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hunter S. Thompson
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entrinnen. Ich spielte mit dem Gedanken, zurück zu der Bierkneipe zu gehen und mir ein Baseballspiel im Fernsehen anzuschauen, doch King riet mir davon ab: »Wir wissen nicht, wie lange die ganze Chose dauert«, sagte er, »und zu Fuß ist es von hier ganz schön weit, oder?«
    Ich wusste, was er mir damit sagen wollte. Sobald das Programm vorbei war, würde der SS-Konvoi zum Flughafen von Athens rauschen, wo Carters Maschine wartete, um uns zurück nach Atlanta zu bringen. Dort stand um halb sieben ein weiteres großes Dinner auf dem Programm und unmittelbar im Anschluss daran der lange Flug zurück nach Washington. Niemand würde mich vermissen, wenn ich mich in die Bierkneipe absetzte, sagte King; es würde mich aber auch niemand vermissen, wenn ich bei der Abfahrt zum Flughafen nicht da war.
    Weder King noch Kirk brauchten mir gegenüber zu erwähnen, dass die SS-Abteilung allein schon bei der Aussicht darauf einen kollektiven Nervenzusammenbruch erleiden würde, Senator Kennedy und Gouverneur Carter durch die Innenstadt von Athens zu kutschieren auf der Suche nach einem notorisch kriminellen Journalisten, der in einer der in der Umgebung des Campus verstreuten Bierpinten oder Bars steckte.
    Also blieb mir nichts weiter übrig, als weiter in der Mensa herumzusitzen – einen Tisch neben dem von Dean Rusk – und mir gläserweise Wild Turkey pur hinter die Binde zu kippen, bis die Feierlichkeiten zum Law Day beendet waren. Nach meinem dritten Ausflug zum Kofferraum hatte sich der Secret-Service-Fahrer zu der Einsicht durchgerungen, dass es einfacher war, mir den Schlüssel zu überlassen, als ihn alle fünfzehn bis zwanzig Minuten hin und her zu reichen und damit noch mehr Unruhe zu stiften … Was in einer gewissen fatalistischen Art und Weise sogar einen Sinn ergab, denn ich hatte bis zu diesem Zeitpunkt schon so oft die Gelegenheit gehabt, allen möglichen Unfug mit dem brisanten Inhalt des Kofferraums anzustellen, dass es sich jetzt auch nicht mehr lohnte, sich darüber Gedanken zu machen. Immerhin hatten wir bereits nahezu zwei Tage miteinander verbracht, und die Agenten schnallten mittlerweile auch, dass sie nicht jedes Mal nach ihren Waffen greifen mussten, sobald ich davon anfing, dass an den Händen von Dean Rusk Blut klebte oder dass es ein Leichtes wäre, mich einfach umzudrehen und ihm mit meinem Steakmesser die Ohren abzuschneiden. Die meisten Geheimdienstler sind behütet aufgewachsen und neigen ein wenig zur Nervosität, wenn sie derartige Reden von einem groß gewachsenen Fremden in ihrer Mitte hören, der es zudem irgendwie geschafft hat, einen anscheinend niemals versiegenden Vorrat an hochprozentigem Whiskey inmitten ihres Waffenarsenals zu deponieren. Situationen dieser Art gehören für gewöhnlich nicht zum Alltag eines SS-Agenten, vor allem nicht, wenn dieser Suffkopf, der die ganze Zeit davon faselt, einem ehemaligen US-Außenminister mit dem Steakmesser an die Gurgel zu gehen, in seiner Akte im Washingtoner Hauptquartier des Secret Service einen dicken roten Vermerk hat und gleichzeitig mit dem Schlüssel zu einem SS-Dienstwagen in seiner Tasche herumläuft.
    Carter redete bereits, als ich von meinem vierten oder fünften Ausflug zum Wagen zurückkam. Ich hatte die ganze Zeit über peinlich darauf geachtet, dass die Zitronenscheibe am Rand meines Glases steckte und es so aussah wie all die anderen mit Eistee gefüllten Gläser im Raum. Doch der Geruch machte Jimmy King allmählich nervös. »Verdammt noch mal, Hunter, hier in der Ecke riecht es überall wie in einer Schnapsbrennerei.«
    »Quatsch«, erwiderte ich. »Was Sie da riechen, ist Blut.«
    King zuckte zusammen, und ich glaube, dass ich sehen konnte, wie Rusk ansetzte, den Kopf in meine Richtung zu drehen, es dann aber im letzten Moment doch bleiben ließ. Er hatte sich die ganzen zwei Stunden lang immer wieder irgendwelche hässlichen Bemerkungen über Blut anhören müssen, die hinter seinem Rücken am »Kennedy-Tisch« über ihn gemacht wurden. Doch warum in aller Welt redete ein Trupp Secret-Service-Männer und Senator Kennedys persönlicher Stab in einem solchen Ton über ihn? Und warum waberte eine Wolke von Whiskeygestank um seinen Kopf herum? Waren die alle besoffen?
    Nicht alle, aber ich steuerte mit mächtigem Elan darauf zu, und die SS-Agenten in meiner Nähe waren den Dünsten mittlerweile schon so lange ausgesetzt gewesen, dass ihr Lachen in meinen Ohren so klang, als wären sie auch schon ein bisschen neben der Spur.

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