Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

Geraden erwischte, die den Champ beinahe auf die Bretter schickte und den letzten Hoffnungsschimmer erlöschen ließ, dass es noch zu dem altbekannten »Wunder-Finish« kommen könne, das Angelo Dundee für die letzte Chance seines Kämpfers hielt. Als Muhammad nur ungefähr anderthalb Meter von mir entfernt in seine Ecke zurückwankte, war die Chose ganz klar gelaufen.
    Das Urteil war dann nur noch eine langweilige Formsache. Leon Spinks, ein 24-jähriger Krawallmacher aus St. Louis, der nur sieben Profikämpfe vorweisen konnte, war der neue Weltmeister im Schwergewicht. Und das Beifallsgebrüll der Menge, die für Spinks war, signalisierte überdeutlich: endlich war dem anmaßenden Nigger aus Louisville das Großmaul gestopft. Fünfzehn lange Jahre hatte er alles in den Dreck gezogen, wofür sie standen: er hatte seinen Namen geändert, hatte sich dem Einberufungsbefehl entzogen, hatte die Besten geschlagen, die sie ihm vor die Nase setzen konnten … Aber jetzt konnten sie Gott sei Dank miterleben, wie er unterging.
    Sechs Präsidenten hatten in der Ära Muhammad Alis im Weißen Haus residiert. Dwight Eisenhower schlug noch immer die Golfbälle im Oval Office, als Cassius Clay jr. bei den Olympischen Spielen 1960 im Halbschwergewicht eine Goldmedaille für die USA gewann, dann zum Profi wurde und seinen ersten Kampf um Geld am 29. Oktober desselben Jahres in Louisville gegen einen Mann namens Tunney Hunsaker gewann, der im Schwergewicht kaum mehr als ein Tagelöhner war.
    Weniger als vier Jahre später und fast genau drei Monate nachdem John Fitzgerald Kennedy in Dallas ermordet worden war, machte sich Cassius Clay – inzwischen die »Louisville Lip« – alle »Box-Experten« der westlichen Welt zu ewigen Feinden, indem er den Weltmeister im Schwergewicht Sonny Liston, den fiesesten der Fiesen, so schwer schlug, dass Liston sich nach der siebenten Runde weigerte, aus seiner Ecke zu kommen.
    Das ist jetzt vierzehn Jahre her. Meine Güte! Und es kommt einem vor, als seien es nur vierzehn Monate.
    DAS NEBENZIMMER
    Wenn er im Ring in Schwierigkeiten geriet, stellte sich [Ali] vor, dass eine Tür aufging, und drinnen konnte er gelbrot und grün pulsierendes Neonlicht sehen, und Fledermäuse, die Trompete bliesen, und Alligatoren, die Posaunen spielten, und er konnte Schlangen kreischen hören. Irre Masken und Gewänder von Schauspielern hingen an den Wänden, und wenn er über die Schwelle trat und danach griff, dann würde er alles in Stücke hauen, das wusste er.
    – George Plimpton , Shadow Box
    Es war schon fast Mitternacht, als Pat Patterson aus dem Fahrstuhl stieg und den Flur hinunterging zum Zimmer 905, direkt neben dem des Champ. Sie waren vor ein paar Stunden aus Chicago eingeflogen, und Muhammad hatte gesagt, er sei müde und würde am liebsten schlafen gehen. Keine Mitternachtsspaziergänge den Block hinunter zum Plaza-Brunnen, so hatte er versprochen, kein Herumgewandere im Hotel und keine Szene in der Lobby.
    Wunderbar, dachte Patterson. Heute Nacht keine Sorgen. Muhammad im Bett und Veronica als seine Beschützerin – Pat hatte das Gefühl, alles sei unter Kontrolle und vielleicht habe er sogar Zeit, unten eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen und dann mal eine Nacht anständig zu schlafen. Das einzig mögliche Problem war die schlecht einschätzbare Anwesenheit von Bundini und einem Freund, der nur mal vorbeigekommen war, um gegen zehn Uhr mit dem Champ über seine Aspiration auf die dreifache Krone zu plauschen. Nach Vegas war die Family ungefähr zwei Wochen lang in einer Art Schockzustand gewesen, aber jetzt schrieb man die erste Märzwoche, und alle waren darauf aus, die große Maschinerie wieder in Bewegung zu bekommen, denn es stand ja der Rückkampf mit Spinks im September ins Haus. Bis jetzt waren noch keine Verträge unterschrieben, und jeder Sportschreiber in New York schien entweder auf der Seite von Ken Norton oder von Don King oder gar von beiden zu stehen … Aber darauf kam es gar nicht an, sagte Ali, denn er und Leon hatten sich schon auf eine Revanche geeinigt, und zum Ende des Jahres werde er der erste Mann in der Geschichte sein, der die Weltmeisterschaft im Schwergewicht DREIMAL hintereinander gewonnen habe.
    Patterson hatte sie mit ihrem Gejohle und ihrem Gelächter allein gelassen, aber vorher hatte er sich von Hal Conrad versprechen lassen, dass er und Bundini früh gehen würden, damit der Champ schlafen könne. Sie hatten am nächsten Tag einen Termin, die Aufzeichnung