Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
einer Show mit Dick Cavett, und danach mussten sie drei oder vier Stunden mit dem Auto in die Berge von East Pennsylvania fahren, wo sich Ali in Deer Lake ein Trainingslager gebaut hatte. Kilroy sorgte dafür, dass der Laden in Schuss war, denn er musste nach Pattersons Meinung und der Meinung aller anderen in der Family jetzt ernsthaft genutzt werden. Ali hatte fast auf der Stelle, nachdem er in Vegas gegen Spinks verloren hatte, jedes Gerede »von einem Rücktritt aus dem Ring« als »Unsinn« weit von sich gewiesen, und zudem hatte er angekündigt, er werde sehr bald mit dem Training für den Wiederholungskampf gegen Spinks beginnen.
Das Fleisch war also in der Pfanne: eine zweite Niederlage gegen Spinks wäre noch schlimmer als die erste – das Ende für Ali, die Family, ja, die gesamte Ali-Industrie. Keine Zahltage mehr, keine Limousinen, keine Suiten und Krabbencocktails, in den teuersten Hotels der Welt aufs Zimmer serviert. Für Pat Patterson und eine Menge anderer Leute würde eine weitere Niederlage durch Spinks das Ende eines Lebensstils bedeuten … Und, schlimmer noch, die erste Welle öffentlicher Reaktion auf Alis »Comeback« war alles andere als ermutigend gewesen. Eine ansonsten positive Geschichte in der Los Angeles Times beschrieb die beinahe ungeteilte Reaktion der Sportpresse folgendermaßen:
»Es wurde gelächelt, und man schüttelte sich die Hände, als der 36-jährige ehemalige Champion am vergangenen Mittwochabend sagte: ›Ich werde zurückkommen. Ich werde der erste Mann sein, der den Schwergewichtstitel dreimal hintereinander gewinnt.‹ Aber zu einem richtigen Lachen wollte es nicht reichen.«
Ein Hauch von dieser Weltuntergangsstimmung war auch in der Family zu spüren. Dr. Ferdie Pacheco, der bei jedem Kampf des Champion, seit er den Titel von Sonny Liston gewonnen hatte, in der Ecke gewesen war – außer beim letzten –, hatte in der Tom Snyder Show gesagt, Muhammad sei als Boxer am Ende, er sei nur noch ein Schatten seiner selbst und er (Pacheco) habe alles getan, ja fast gebettelt, Ali möge sogar noch vor dem Spinks-Kampf zurücktreten.
Wegen dieser Ketzerei hatte man Pacheco schon aus der Family ausgestoßen, aber dennoch war ein Körnchen Zweifel geblieben, das sich nur schwer ignorieren ließ. »The Doc« war schließlich kein Quacksalber, sondern ein persönlicher Freund; wusste er vielleicht etwas, das anderen verborgen geblieben war? War es vielleicht sogar möglich , dass der Champ »ausgelaugt« war? Wenn man ihn ansah oder ihm zuhörte, konnte man diesen Eindruck nicht gewinnen – er sah scharf aus, und dann gab es noch eine Ruhe, eine Art stummer Intensität in seinem Selbstvertrauen, die fast von Untertreibung zeugte.
Pat Patterson bewahrte sich seinen Glauben – oder wenn er es nicht tat, dann hätte es selbst der Champ nicht erraten können. Die Loyalität derer, die Muhammad Ali nahestehen, ist so intensiv, dass sie ihnen manchmal den Blick verstellt … aber Leon hatte diese Schatten vertrieben, und jetzt war es an der Zeit, ernsthaft an die Arbeit zu gehen. Kein Showbusiness mehr und auch keine Clownerien. Jetzt ging es zur Sache.
Pat Patterson hatte versucht, alle Zweifel zu ignorieren, aber jeder Zeitschriftenstand, dem er in New York, Chicago oder sonstwo zu nahe gekommen war, schien widerzuhallen vom Gebell der Bluthunde, die eine Spur gewittert hatten. Jede Medienstimme im Lande richtete sich auf die endgültige Rache an diesem großschnäuzigen Nigger ein, der ihnen so lange ins Gesicht gelacht hatte, dass eine ganze Generation von Sportschreibern im Schatten einer aufmüpfigen und tanzenden Allgegenwart aufgewachsen war, welche die meisten von ihnen nur halbwegs verstanden hatten – bis jetzt, da sie fast schon verschwunden schien.
Sogar der Wiederholungskampf mit Spinks war in seiner Vorbereitungsphase irgendwo in den geheimnisvollen Mechanismen des Profiboxens ums große Geld festgefahren – und Pat Patterson verstand wie alle anderen, die ihr Leben auf das Glück und den Reichtum Muhammad Alis ausgerichtet hatten, dass der Wiederholungskampf bald sein musste. Sehr bald. Und der Champ musste diesmal darauf vorbereitet sein – nicht so unvorbereitet wie er in Vegas gewesen war. Unwillkürlich musste man an Sonny Listons grausliches Schicksal denken, nachdem er zum zweiten Mal gegen Ali verloren hatte, und zwar in einem Kampf, der sogar die »Experten« überzeugte.
Diese Dinge zählten zu den dunklen Schatten, über die Pat Patterson lieber
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