Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)

zu fragen, warum jeden Morgen so viele Nackte drin liegen. Wenn er um die Mittagszeit den Rasen mäht, wird der Gärtner nicht gerade erfreut sein beim Anblick von Strickleitern, die aus den Fenstern des Elternschlafzimmers herabhängen, und jeder Chauffeur, der genug Grips hat, den Schaltknüppel in einem Rolls zu bewegen, wird auch kapieren, was abläuft, wenn man ihn über die Brücke zu einer Ziegenfarm in Loxahatchee schickt, wo er ein Paar geschlechtsreife Böcke und ein Pfund Aufputschmittel für Tiere abholen soll.
    Nacktheit gehört in Palm Beach zur Lebensart, und der Unterschied zwischen einem Picknick und einer Orgie ist manchmal schwer auszumachen. Wenn eine Frau, die vierzig Millionen schwer ist, um vier Uhr morgens mit ihrem Ziegenbock nackt im Pool schwimmen will, dann geht das allein sie etwas an. Es gibt in Florida Gesetze gegen den geschlechtlichen Umgang mit Tieren, aber nicht alle Leute haben diesbezüglich ihre Vorbehalte.
    »Meine Zimmergenossin lässt sich auf Partys von Hunden ficken«, sagte eine elegante Blondine Ende zwanzig, die in einer edlen Boutique in der Worth Avenue Kaschmir und goldenen Schnickschnack verkauft. »Na und? Das tut doch niemandem weh, oder?«
    Ich zuckte die Achseln und betastete wieder das Angebot auf dem Hemdenständer. Das Konzept vom opferlosen Verbrechen wird in Palm Beach sehr wohl begriffen, und dessen Logik lässt sich nur schwer widerlegen. Kein Schaden, kein Verbrechen. Wenn ein hübsches Mädchen aus Atlanta morgens lange ausschlafen kann, dann im Everglades Club zum Lunch auftaucht und 50000 Dollar im Jahr unversteuert dafür einsackt, dass sie sich in den Schlafzimmern reicher Leute von Hunden ficken lässt – warum sollte sie Angst vor der Polizei haben? Was ist der Unterschied zwischen Bestialität und normaler Sodomie? Ist es besser, im Holiday Inn Schweine zu ficken oder Esel in einem Penthouse auf Tarpon Island? Und was ist denn am Inzest überhaupt so falsch? Es erfordert zweihundert Jahre mit Sorgfalt betriebener Inzucht, eine Linie schöner Töchter in die Welt zu setzen, und nur ein Geisteskranker würde sie an Fremde geben. Pumpe sie voll mit Kokain und halte sie an, ihre Stiefschwestern zu lieben – oder, wenn’s denn sein muss, sogar auch ihre Väter und Brüder, damit ja alles Hässliche von der Familie ferngehalten wird.
    Man sehe sich doch die Bediensteten an. Sie haben Warzen und dicke Fesseln. Ihre Kinder sind zu dumm zum Lernen und unfähig, sich ein Leben aufzubauen. Familienstammbaum interessiert sie nicht. Es gehört eine Menge mehr dazu, Kinder zu zeugen, als ihnen feine Tischmanieren beizubringen, und auch eine Menge mehr dazu, reich zu ein, als einfach nur Geld auszugeben und Alligatorshirts zu tragen. Der wahre Unterschied zwischen den Reichen und den anderen besteht nicht nur darin, dass »sie mehr Geld haben«, wie Hemingway anmerkte, sondern dass Geld kein bestimmender Faktor in ihrem Leben ist wie bei den Menschen, die für ihren Lebensunterhalt arbeiten. Die wirklich Reichen sind frei geboren wie Delfine. Sie werden nie unter Hunger leiden, und ihre Kreditwürdigkeit wird nie infrage gestellt werden. Ihre Töchter werden eines Tages Debütantinnen sein, und ihre Söhne werden Privatschulen besuchen, und wenn ihre Vettern und Kusinen Junkies und Lesbierinnen werden, na und? Die Aufzucht menschlicher Wesen bleibt immer noch eine unvollkommene Kunst, und das trotz der günstigen Umstände.
    Wo sind die reinrassigen arischen Musterexemplare, die Hitler in den frühen Tagen des Dritten Reichs so gezielt züchten ließ? Wo sind die besten und klügsten Kinder von Bel Air und Palm Beach?
    In manchen Kreisen sind das unbequeme Fragen, und die Ant worten stiften Verwirrung. Warum enden die schönsten Blüten des amerikanischen Traums so oft in Irrenanstalten, vor dem Scheidungsrichter oder auf anderen grauen Korridoren mit wandelnden Todgeweihten? Was ist es, das die Menschen, die frei geboren sind und reich jenseits aller Sorgen, in den Wahnsinn treibt?
    Im Palm-Beach-Express schien an dieser Frage niemand besonders interessiert zu sein. Als die Sache immer mehr aus dem Ruder lief, sammelte sich die Gemeinde stattdessen geschlossen hinter dem armen Pete Pulitzer – sogar während der achtzehn Tage bizarrer Zeugenaussagen im Gerichtssaal, die seine Freunde beschämten und die Hälfte der zivilisierten Welt schockierten. Die intimsten Details aus seinem wilden sechsjährigen Eheleben mit einem ehrgeizigen Cheerleadergirl aus