Die Rolling-Stone-Jahre (German Edition)
sie in den Artikeln über die letztendliche Entscheidung des Richters nicht erwähnt und sorgte auch nicht für Schlagzeilen.
Hier wird niemand ungeschoren davonkommen.
–Richter Carl Harper
Das gesamte Beweismaterial für diese Scheidungssache wurde in einem Einkaufswagen durchs Gebäude gekarrt, den sich einer der Gerichtsdiener offenbar im Supermarkt um die Ecke ausgeliehen hatte. Der Wagen enthielt alles, von den Steuererklärungen der Familie bis zu der Blechtrompete, mit der Roxanne angeblich geschlafen hatte, um mit den Toten zu kommunizieren. Wenn das Gericht nicht tagte, war der Wagen meistens neben einem Fotokopierer beim Urkundsbeamten des Kreises im Büro abgestellt, und die bemerkenswerten Verordnungen, die in Florida den Zugang der Öffentlichkeit zu den staatlichen Archiven regelte, gestatteten den Bürgen jederzeit uneingeschränkte Einsichtnahme. So viele Leute kehrten den Inhalt des Wagens von oben nach unten und von unten wieder nach oben, dass nach Ablauf der Verhandlung selbst der Richter sich keinen Reim aus dem Aktenmaterial hätte mehr machen können. Doch für uns Journalisten war es eine schier unerschöpfliche Quelle unterhaltsamen Gesprächsstoffs. An einem verregneten Nachmittag brauchte man nur seinen Rucksack mit eisgekühltem Bier zu füllen und ins Büro zu marschieren, um stundenlang einen Riesenspaß zu haben, indem man den Wagen wie eine Wundertüte ausräumte und kopierte für zehn Cent pro Seite, was man wollte. Das war der Pressetarif. Die Öffentlichkeit musste einen Dollar pro Seite bezahlen, was natürlich niemand tat. Die Verantwortlichen hatten es eher auf Autogramme statt auf Geld abgesehen. Solange wir einigermaßen ehrlich blieben, ließen sie uns in Ruhe.
Ich verbrachte viel Zeit damit, Kopien der persönlichen Steuererklärungen und Kontenblätter zu studieren, die von den Buchhaltern der Pulitzer-Familie als Beweismaterial eingereicht worden waren, und brachte es auch zu einem gewissen Durchblick, verstand aber beileibe nicht alles.
Dass diese Leute unbestreitbar richtig reich waren, kapierte ich sofort. Die privaten Ausgaben betrugen 1981 insgesamt 972980 Dollar für die vierköpfige Familie: einen Mann, eine Frau, zwei vierjährige Kinder und ein Kindermädchen, dem man 150 Dollar die Woche zahlte.
Eine Menge Geld, aber nun … Wir reden ja hier nicht von armen Leuten, und eine Million Dollar im Jahr für Privatausgaben fallen in Palm Beach nicht aus dem Rahmen. Die Reichen haben ihre besonderen Probleme. Die Pulitzers hatten 1981 »Grundkosten für den Haushalt« in Höhe von 49000 Dollar und brachten weitere 272000 Dollar für »Hausstandsverschönerung« auf. Das sind runde 320000 Dollar im Jahr nur für einen Schlafplatz und um Vater-Mutter-Kind zu spielen. Weitere 79600 Dollar waren als »Privatausgaben« angeführt und 79000 Dollar für Bootswartung.
»Geschäftsausgaben« beliefen sich auf 11000 Dollar, und Steuern wurden absolut keine aufgelistet. Was Ausgaben für Wohltätigkeit betrifft, folgten die Pulitzers in dem Jahr offenbar dem Beispiel von Ronald Reagan und spendeten privat, um die Armen nicht in Verlegenheit zu bringen.
Club 441 oder Warum die Reichen anders sind als wir
Einen Eintrag gab es jedoch, der Aufmerksamkeit weckte. Die Summe betrug 441000 Dollar und war aufgeführt in der Rubrik für »Diverses und nicht mehr Bekanntes«.
Sicher doch. Diverses und nicht mehr Bekanntes: 441000 Dollar. Und im Gerichtssaal zuckte niemand auch nur mit der Wimper. Hier hatten eben zwei Kokainsüchtige den Weg vor den Richter gefunden, weil ihre Ehe nicht mehr zu funktionieren schien und die Kinder langsam verhaltensauffällig wurden.
Die Bediensteten reagierten befremdlich, und abends rannten manchmal Nackte über den Rasen und warfen Steine gegen die Schlafzimmerfenster in der oberen Etage, und Typen mit weißem Schaum vorm Mund wichsten wie die Affen auf den Korridoren … irgendwelche hektischen Leute faselten morgens um vier Uhr lauthals am Telefon von Vulkanausbrüchen im Pazifik, welche die Temperatur des Ozeans für alle Zeiten verändern und den Jetstream nach Süden abdrängen würden, sodass es zu einer neuen Eiszeit käme – und eben deswegen bekamen wir keinen Schlaf, Euer Ehren, und der Himmel war voller Geier, und deswegen riefen wir einen Schönheitschirurgen an, weil ihre Titten immer schlaffer wurden und meine Augen auch nicht mehr so toll aussahen, und dann rasten wir mit hundert Meilen die Stunden nach Miami. Erst auf halber
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