Die Romanow-Prophezeiung
war, nahezu rund. Er löste den Lederriemen.
Beim Anblick des Inhalts hielt er völlig fassungslos inne.
Das Ei war mit Guillochen verziert, die von durchscheinendem rosa Emaille überzogen waren, es wurde von geschwungenen Füßchen getragen, die sich bei näherem Hinsehen als Blattranken mit rosafarbenen Diamantäderchen erwiesen. Darauf saß eine winzige zweibogige Zarenkrone mit weiteren rosa Diamanten und einem erlesenen Rubin verziert. Das Ei war durch vier diamantenbesetzte Linien der Länge nach geviertelt und mit Lilien aus Perlen und Diamanten sowie weiteren, in durchscheinendem Grün auf Gold aufgetragenen Emailleblättern verziert. Das Kleinod war vom Fuß bis zur Krone etwa fünfzehn Zentimeter hoch.
Er hatte es schon einmal gesehen.
»Das hier ist ein Fabergé«, sagte er. »Ein kaiserliches Osterei.«
»Ich weiß«, antwortete Akilina. »Ich habe solche Schmuckstücke in der Rüstkammer des Kremls gesehen.«
»Dies hier war unter dem Namen Lilien-im-Tal-Ei bekannt. Es wurde der Zarenwitwe Maria Fjodorowna, der Mutter Nikolaus’ II. im Jahre 1898 geschenkt. Da gibt es allerdings ein Problem. Dieses Ei gehört derzeit zu einer Privatsammlung. Der Sammler Malcolm Forbes, ein amerikanischer Millionär, hat zwölf der vierundfünfzig bekannten Eier gekauft. Seine Sammlung ist größer als die in der Rüstkammer des Kremls. Exakt dieses Ei habe ich in einer New Yorker Ausstellung gesehen …«
Man hörte das Scheppern von Metall, als die Gittertür auf der anderen Seite des Raums geöffnet wurde. Lord spähte um eine Reihe von Safes herum und erblickte James, der langsam auf sie zuschlenderte. Rasch bugsierte Lord das Ei in den Beutel zurück und zog die Lederbändel fest. Die Goldbarren ruhten ohnehin noch in ihrem Beutel.
»Alles in Ordnung?«, fragte James ungezwungen.
»Bestens«, antwortete Lord. »Haben Sie vielleicht einen Karton oder eine Tüte, um diese Sachen hier wegzubringen?«
Der Mann warf einen kurzen Blick auf den Tisch. »Selbstverständlich, Mr. Lord. Die Bank steht zu Ihren Diensten.«
Lord wollte auch den restlichen Inhalt des Schließfachs untersuchen, hielt es aber für geraten, zuerst die Bank zu verlassen. Randall Maddox James kam Lord, der derzeit zu einer gewissen Paranoia neigte, ein wenig zu neugierig vor. Doch letztlich waren seine Bedenken nach dem, was er in den letzten Tagen durchgemacht hatte, durchaus verständlich.
Er hatte ihren Fund in einer mit Kordelgriffen versehenen Papiertüte der Commerce & Merchants Bank verstaut und führte Akilina nach draußen, von wo sie mit dem Taxi zur Stadtbibliothek fuhren. Er erinnerte sich noch von einem früheren Besuch an das Gebäude, ein prächtiges dreistöckiges Bauwerk aus dem späten neunzehnten Jahrhundert, das sowohl das Erdbeben von 1906 als auch jenes von 1989 unbeschadet überstanden hatte. Am Informationsschalter schickte man sie zu einem angrenzenden moderneren Anbau. Bevor er seine Aufmerksamkeit wieder dem Inhalt der Tüte zuwandte, suchte Lord noch einige Bücher über Fabergé zusammen, darunter auch eines mit einem Katalog aller bekannten kaiserlichen Ostereier.
Nachdem sie ein Studierzimmer betreten und die Tür abgeschlossen hatten, breitete Lord den Inhalt des Banksafes auf dem Tisch aus. Dann schlug er eines der Bücher auf und entnahm diesem, dass seit 1885, als Zar Alexander III. Carl Fabergé den Auftrag gab, seiner Frau, Kaiserin Maria ein Ostergeschenk zu fertigen, sechsundfünfzig Ostereier geschaffen worden waren. Ostern war das höchste Fest der russisch-orthodoxen Kirche und wurde traditionell mit dem Austausch von Eiern und drei Küssen begangen. Das Spielzeug wurde so begeistert aufgenommen, dass der Zar von da an jedes Ostern ein neues Ei in Auftrag gab. Nikolaus II. Alexanders Sohn, der den Thron 1894 bestieg, führte diese Tradition fort, ließ von nun an aber zwei Eier anfertigen – eines für seine Frau Alexandra und das andere für seine Mutter.
Jedes dieser Unikate aus emailliertem Gold und Edelsteinen enthielt eine Überraschung – eine winzige Krönungskutsche, ein Modell der kaiserlichen Jacht, einen Zug, Aufziehtierchen oder irgendeine andere Miniatur mit raffiniertem Mechanismus. Siebenundvierzig der ursprünglich sechsundfünfzig Eier waren bekannt, und unter ihren Abbildungen waren ihre derzeitigen Aufbewahrungsorte notiert. Die fehlenden neun Eier galten seit der bolschewistischen Revolution als verschollen.
Lord fand ein ganzseitiges Foto des Lilien-im-Tal-Eis.
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