Die Romanow-Prophezeiung
steckte. Einige der Klienten von Pridgen & Woodworth bemühten sich fieberhaft darum, das Land besser an das World Wide Web anzubinden. Das Problem bestand allerdings darin, dass ein Computer mehr kostete als zwei durchschnittliche Jahresgehälter eines Russen.
Er scrollte nach unten und sah sich noch ein paar weitere Seiten an, denen jedoch nichts Wissenswertes mehr zu entnehmen war. Die Kellnerin kam mit dem Essen und zwei Gläsern Pepsi-Cola. Sie aßen, und ein paar Minuten lang dachte er nicht mehr an ihre Lage. Als er gerade die letzte Fritte in den Mund steckte, kam ihm ein neuer Gedanke. Er ging wieder zur Suchmaschine zurück, gab das Suchwort North Carolina ein und fand eine Seite mit einer detaillierten Karte des Staates. Dann klickte er den bergigen Westen des Staates an und rief einen vergrößerten Ausschnitt auf.
»Was ist das?«, fragte Akilina fasziniert.
»Mir ist eine Idee gekommen«, antwortete er, ohne den Bildschirm aus den Augen zu lassen.
Im Mittelpunkt des Ausschnitts lag Asheville, wo sich zwei rote Linien kreuzten: die Interstate 40 und die Interstate 26. Im Norden lagen Städte wie Boone, Green Mountain und Bald Creek. Hinter Hendersonville im Süden begegneten sich die Nachbarstaaten South Carolina und Georgia. Maggie Valley und Tennessee begrenzten das Gebiet im Westen und ganz im Osten des Ausschnitts tauchte die Stadt Charlotte auf. Er betrachtete den Blue Ridge Parkway, der sich von Asheville aus nordöstlich bis hinein nach Virginia schlängelte. Die Städtchen an dieser Straße hatten interessante Namen. Sioux, Bay Book, Chimney Rock, Cedar Mountain. Dann, unmittelbar nördlich von Asheville und südlich von Boone, nahe Grandfather Mountain, fand er es.
Genesis. Ein Städtchen an der State Route 81.
Dort, wo der Blauglockenbaum wächst und Genesis, dort wartet ein Dorn.
Lächelnd drehte er sich zu Akilina um.
41
Mittwoch, 20. Oktober
Lord und Akilina standen früh auf und verließen das Hotel. In den letzten Tagen hatte er zum ersten Mal seit Jahren sein Bett mit einer Frau geteilt. Sie hatten keinen Sex gehabt, da beide zu erschöpft und verängstigt waren, aber sie hatten einander in den Armen gehalten, wobei er mehrmals eingenickt, aber immer wieder aufgewacht war, da er jeden Moment erwartete, Hängelid und Oleg ins Zimmer stürmen zu sehen.
Sie waren unmittelbar nach Sonnenaufgang aufgewacht und hatten sich zu einer Avis-Mietwagenagentur im Bankenviertel begeben. Dann waren sie in der Hoffnung, dort am Flughafen nicht überwacht zu werden, die neunzig Meilen nach Sacramento gefahren. Nachdem sie den Wagen abgegeben hatten, nahmen sie einen Direktflug der American Airlines nach Dallas. Im Flugzeug hatte Lord Zeit, die Zeitung USA Today zu lesen. Auf der Titelseite berichtete ein Artikel, dass die Zarenkommission ihre Arbeit inzwischen nahezu abgeschlossen habe. Gegen alle Erwartungen habe die Kommission ihre Befragungen beendet und das Feld auf drei Endkandidaten eingeengt, von denen einer Stefan Baklanow sei. Die ursprünglich auf den nächsten Tag angesetzte Entscheidungswahl habe wegen eines Todesfalles in der Familie eines Kommissionsmitglieds auf Freitag verschoben werden müssen. Da die abschließende Wahl einstimmig erfolgen müsse, sei die Verschiebung um einen Tag unvermeidlich gewesen. Analysten sagten bereits Baklanows Wahl voraus und priesen diese Entscheidung als den besten Weg für Russland an. Ein Historiker wurde mit dem Satz zitiert: »Er ist der nächste Verwandte, den wir von Nikolaus II. haben. Der Romanow, der unter den Romanows am meisten Romanow ist.«
Lord starrte das Telefon an, dessen Hörer in die Kopflehne des Vordersitzes eingeklinkt war. Sollte er einen Mitarbeiter des Außenministeriums oder Taylor Hayes anrufen und ihnen sagen, was er wusste? Die Information, die derzeit nur er und Akilina besaßen, würde den Ausgang der Kommissionsabstimmung mit Sicherheit beeinflussen. Zumindest aber würde man die Endabstimmung vertagen, bis man überprüft hatte, was von der Neuigkeit zu halten war. Doch die Prophezeiung verlangte, dass er und Akilina die Aufgabe allein durchführten. Noch vor drei Tagen hätte er sie als das Phantasiegespinst eines machthungrigen trunkenen Bauern abgetan, der sich in Russlands Zarenfamilie eingeschmeichelt hatte. Aber da war der Affe. Das Tier . Das Tier hatte das Ei zerschmettert. Und außerdem Hängelid daran gehindert, über den Graben zu springen.
Tiere in ihrer Unschuld werden den Weg hüten und weisen.
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