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Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)

Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)

Titel: Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Berthoud
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Es führt kein Weg daran vorbei, manches Leid kann man nicht lindern, und wir müssen uns selbst und anderen Zeit für diese trostlose, finstere Phase geben, in der alle Versuche, uns aufzuheitern, unangebracht und völlig nutzlos sind. Siri Hustvedts Roman Was ich liebte erforscht diesen Zustand mit entschlossener Unerschrockenheit. Der Erzähler Leo Hertzberg und sein Freund Bill Wechsler trauern. Einst so verheißungsvoll begonnen, scheinen die Leben der beiden Männer jetzt auseinanderzubrechen – und beide trauern der Vergangenheit nach, ihrem Leben als New Yorker Intellektuelle, von dem sie glaubten, es würde immer so weitergehen.
    Hustvedts Charaktere, einschließlich der Kinder, sind eine intelligente, nachdenkliche Truppe. Hustvedt zeigt uns aber, dass Intelligenz uns nicht vor dem Schmerz beschützt, ja, 358 dass sie es manchmal sogar erschwert, ihn zu überwinden. Schmerz ist unweigerlich ein Bestandteil unseres Lebens, und Ihren eigenen gemeinsam mit diesen Romanfiguren zu erleben wird Ihnen helfen, auch seine finstersten Winkel auszuloten – und falls Sie irgend Hoffnung haben, Ihre Trauer zu überwinden, ist das hier wohl das wesentlichste Stadium.
    Michael Köhlmeiers Idylle mit ertrinkendem Hund stemmt sich noch gegen die Akzeptanz. Köhlmeiers Alter Ego, ein Schriftsteller, dessen Tochter Paula mit einundzwanzig Jahren bei einer Bergwanderung verunglückte, geht mit seinem Lektor (einer gespenstischen, clownesken Gestalt) durch die verschneite Landschaft des Alten Rheins. Plötzlich sehen die beiden, wie ein Hund über das dünne Eis des Flusses läuft und einbricht. Der Schriftsteller reißt einen Ast von einer Weide und kriecht über das Eis zu dem Hund, obwohl er weiß, dass er selbst einbrechen wird. Doch er kann unmöglich dem Tod auch dieses Leben überlassen.
    Die literarische Rettung des Hundes steht für die Hoffnung, das Schicksal schreibend abzuwenden und so Trost zu finden. »Wie kann ich über den Tod unserer Tochter schreiben?«, fragt Köhlmeiers Autor seinen Lektor in Gedanken. »Alle Erinnerungen enden mit dem einundzwanzigsten Jahr. Ich will aufschreiben, was weiter gewesen sein könnte. Damit es außerhalb von mir ist, verstehst du das?«
    Nicht jeder kann schreibend das Leben eines geliebten Toten fortführen. Aber sich mittels Fantasie gegen den Tod zu stemmen und ihm den geliebten Menschen zumindest für einen Moment zu entreißen, das können wir alle.
    Manche Menschen finden den Weg zur Akzeptanz leichter als andere. Als der Erzähler in John Bergers Hier, wo wir uns begegnen seiner Mutter – die seit vielen Jahren tot ist – in einem Park in Lissabon begegnet, erkennt er sie zunächst an ihrem Gang. In der nachfolgenden Unterhaltung ertappt er sich dabei, wie er vertraute, liebgewonnene Gesten an ihr wahrnimmt – die Art, wie sie über ihre Unterlippe leckt, so wie sie es immer tat, wenn sie gerade Lippenstift aufgetragen hatte – und wie sehr ihn auch heute noch ihr »großarti 359 ges Auftreten« nervt, mit der sie nur, so scheint es, ihre Zaghaftigkeit und Verletzbarkeit kaschiert.
    Bergers Erzähler – oder vielleicht ist es Berger selbst – reist von Stadt zu Stadt und stößt dabei immer wieder auf ›seine‹ Toten. In Krakau trifft er seinen alten Mentor Ken, und während sie gemeinsam einem Schachspiel zusehen, schmerzt ihn dessen Tod so heftig wie damals – was uns daran erinnert, dass Trauer uns das ganze Leben hindurch oft in zufälligen, unvorhersehbaren Momenten in Wellen übermannt. In Islington, London, trifft der Erzähler auf seinen Freund Hubert, der völlig überfordert damit ist, die Schubladen voller Skizzen, die seine tote Frau Gwen hinterlassen hat, auszusortieren. »Was soll ich nur damit anfangen?«, stöhnt er. »Ich schiebe die Entscheidung immer wieder auf. Aber wenn ich nichts tue, wird man alles wegschmeißen.«
    Seine Wanderungen durch all diese Städte bieten dem Erzähler die Gelegenheit, sich zu erinnern, und die Gespräche mit den Toten eine Möglichkeit, seine Liebe für die, die er verloren hat, nochmals zu spüren und tief in sich zu verankern. »Seit ich tot bin, habe ich eine Menge gelernt«, erzählt ihm seine Mutter und verweist wenig später auf das »ewige Rätsel, wie aus nichts etwas wird«, denn das ist es, wie sie mittlerweile weiß, worum es im Grunde geht. Berger fragt sich, was man wohl am besten an einem Grab zurücklässt, (vielleicht einen seiner Lederhandschuhe?) und nimmt wahr, wie der Tod die Menschen noch

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