Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)
finden.
Tatsächlich leiden überproportional viele Schriftsteller unter Depressionen. Manche Leute sagen, dass besonders kreative Menschen dafür anfällig sind, andere, dass es nun einmal befreiend ist, über seine Krankheit zu schreiben. So hat der amerikanische Romanautor Richard Yates Stunden damit verbracht, im Zustand katatonischer Depression an die Wand zu starren. Auch Ernest Hemingway litt im Laufe seines Lebens zunehmend unter Phasen tiefer Depression und war ein schwerer Trinker (wenn auch Sie dazu tendieren, im Alkohol Zuflucht zu suchen ▶ Alkoholsucht ). Am Ende hat er seinen Kampf gegen die Depression verloren, so wie auch Virginia Woolf und Sylvia Plath, jedoch nicht ohne uns die unschätzbaren Früchte ihrer Existenz zu hinterlassen. Diese Hinterlassenschaften – Romane über das Erleben psychischer Krankheiten – sind dazu da, dass wir Trost finden können, wo er ihren Schreibern verwehrt blieb.
Plath litt unter einer bipolaren Störung, und in ihrem eindringlichen autobiographischen Roman Die Glasglocke beschreibt sie anhand ihrer jungen Heldin Esther Greenwood die verwirrenden Stimmungsschwankungen, die sie im einen Moment unfassbar glücklich sein ließen – ihre Lungen blähen sich in einem Ansturm von Freude darüber, am Leben zu sein – und im nächsten »eingezwängt … wie ein totes Baby«, unfähig zu jeglicher emotionalen Reaktion. Esthers Stimme wird denjenigen, die unter einer ähnlichen Depression leiden, Trost spenden. Was Plaths Roman trotz allem so gut lesbar macht, ist ihre leichte, eingängige Prosa und der Umstand, dass sie selbst in den drückendsten Passagen Esthers Menschsein und jugendliche Vitalität durchscheinen lässt. Denken Sie daran, wenn Sie sich nicht vorstellen können, jemals wieder glücklich – oder einfach nur ›normal‹ – zu sein.
Die eigene Depression als etwas zu betrachten, was nicht 72 direkt zu einem gehört – zum Beispiel als einen großen, schwarzen stinkenden Hund –, mag anfangs etwas seltsam erscheinen, kann aber helfen, sich so von seiner Krankheit zu distanzieren, dass man sie nicht mehr als Grundpfeiler der eigenen Identität sieht. Rebecca Hunts mutiges Debüt Mr. Chartwell wird Sie durch diesen Prozess begleiten. Mr. Chartwell ist die Manifestation von Winston Churchills »schwarzem Hund« – der Depression, die den majestätischen Politiker den größten Teil seines Lebens heimgesucht hat – und zieht nun ebenfalls bei seiner zeitweiligen Sekretärin Esther Hammerhans, der Protagonistin des Romans, ein. Black Pat, der allein für die Betroffenen sichtbar ist, steht am zweiten Jahrestag des Selbstmords von Esthers Mann vor ihrer Tür, angeblich wegen ihrer Anzeige, in der sie einen Untermieter sucht. Schnell fühlt er sich bei ihr wie zu Hause, liegt knochenknabbernd vor ihrer Schlafzimmertür. Black Pat mag abstoßende Angewohnheiten haben, doch nur diejenigen, die unter einer Depression leiden, wissen, dass er auch einen besonderen Charme besitzt, dem man nur schwer widerstehen kann, und mit einer Mischung aus Verzweiflung und Faszination nimmt Esther ihn bei sich auf.
Sie ist nicht sein erstes Opfer. Black Pat hat nicht nur Churchill schon einen Besuch abgestattet, Esther geht davon aus, dass er ohne ihr Wissen auch schon einmal in ihrem Haus gewohnt hat. Und als sie allmählich ein tieferes Verständnis für die Krankheit ihres verstorbenen Mannes, und somit auch für ihre eigene Krankheit, bekommt, nähert sich ihre Beziehung zu dem struppigen Mitbewohner der Auflösung. Sie werden nicht umhinkommen, das Buch zu lesen, um herauszufinden, ob sie ihre Depression überwinden wird. Wie wir alle wissen, hat Churchill trotz allem seinen Job gemacht. Und als Esther und ihr Mentor feststellen, dass sie beide den Hund sehen können, sich aber nicht trauen, es zuzugeben – so mächtig ist das Tabu, das diese Krankheit umgibt –, sind Churchills taktvolle Art, das riesige, übelriechende schwarze Vieh zu umkreisen, und seine herzliche Ermunterung, »fest« zu bleiben, anrührend und tröstend, sowohl für Esther als auch für den Leser. 73
In Fällen ernsthafter Depression wird Bibliotherapie nicht ausreichen, und doch empfehlen wir allen Leidenden, die Möglichkeiten der Literatur als Unterstützung einer medizinischen Behandlung voll auszuschöpfen. Egal ob Sie ein Buch brauchen, das Sie Ihre Trübsal vergessen lässt, oder eins, das Ihnen darin Gesellschaft leistet – Bücher erreichen uns häufig auf eine Weise, die anderen
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