Die Romantherapie: 253 Bücher für ein besseres Leben (German Edition)

darüber nach, ob Sie sich nicht einem Lesekreis anschließen mögen, in dem jeder reihum laut aus einem Roman vorliest. Oder gründen Sie einen eigenen! Ein Buch in großer Runde zu lesen ist eine wunderbare Möglichkeit, eine ansonsten innerliche, einsame Erfahrung zu teilen, und ziemlich wahrscheinlich gewinnen Sie über die Reaktionen der anderen während und nach der Lektüre tiefere Erkenntnisse und ein besseres Verständnis des Buches. Ganz nebenbei findet man so auch neue Lesefreunde. Vielleicht besetzt mal irgendwann einer von ihnen den Platz am anderen Ende Ihres Lesesofas.

108 Eitelkeit
    Vom Winde verweht
Margaret Mitchell

Das Bildnis des Dorian Gray
Oscar Wilde
    Das Problem mit der Eitelkeit ist: Sie macht selbstsüchtig und dumm. Scarlett O'Hara, die Südstaatenschönheit in Margaret Mitchells Vom Winde verweht , ist so verliebt in ihre eigene Schönheit, dass sie nur zwei Dinge im Kopf hat: Hübsche Kleider und die Eroberung nicht nur des Mannes, den sie heiraten will – Ashley Wilkins –, sondern der Herzen aller jungen Männer in der Umgebung (sehr zum Verdruss der anderen Mädchen). Als sie erfährt, dass Ashley sich mit seiner unscheinbaren Cousine Melanie verlobt hat, kann sie es nicht glauben. Von Äußerlichkeiten besessen, wie sie es nun mal ist, nimmt Scarlett keinerlei Notiz von Melanies inneren Werten – geschweige denn, dass sie es in Betracht zöge, an ihren eigenen inneren Werten zu arbeiten. Und so bleibt sie ein verwöhnter, launischer Teenager, der seine Schönheit bewusst nutzt, um zu bekommen, was er will. Taub und blind dafür, wie wichtig Güte im zwischenmenschlichen Miteinander ist, und auch für den tief verankerten Rassismus um sie herum (tatsächlich ist die wohlwollende Darstellung der Sklaverei etwas, worüber der Leser bzw. die Leserin 10 mit einem tiefen Atemzug hinwegsehen muss, um diesen ansonsten wirklich großartigen Roman zu genießen), tritt sie die Gefühle all derer, denen sie begegnet – einschließlich die ihres späteren Gatten Rhett – mit Füßen, bevor ihr endlich die Augen aufgehen. Die untadelige Melanie wird nachträglich Scarletts Bewunderung, Respekt und Liebe gewinnen, so wie sie Ashleys bereits vor vielen Jahren gewonnen hat – und das hat nichts mit ihrem Aussehen zu tun.
    Eitelkeit macht letztendlich auch hässlich. Als der schöne Dorian Gray erkennt, dass alle ihn wegen seines guten Aussehens lieben, bekommt er solche Angst davor, eines Tages nicht mehr hübsch zu sein, dass er seine Seele verkauft, um ewig jung zu bleiben. Ein von Sir Basil Hallward angefertigtes Porträt soll an seiner statt altern. Unter der Anleitung 109 von Lord Henry Wotton stürzt Gray sich nun in ein Leben zügelloser Genusssucht. Doch als er einer jungen Schauspielerin das Herz bricht und diese daraufhin Selbstmord begeht, erscheint ein grausames Lächeln auf seinem Porträt. Denn unser Gesicht zeugt nicht allein von unserem Alter, sondern auch von der Entwicklung der Persönlichkeit, die dahintersteckt – und während Dorians Geringschätzung anderer immer mehr menschliche Trümmer hinterlässt, wird auch sein Bildnis zunehmend hässlicher.
    Die unausweichliche Wahrheit ist: Wahre Schönheit kommt von innen. Versuchen Sie, ein guter Mensch zu sein, und Sie werden noch mit neunzig rosig strahlen.
    ▶ Arroganz
    ▶ Belesen wirken wollen

Empathie, Mangel an
    Ungeduld des Herzens
Stefan Zweig
    Gehören Sie zu den Menschen, die lieber Fahrräder reparieren oder Wasserkisten schleppen, als lange Gespräche mit vom Schicksal geplagten Freunden zu führen? Oder gar zu denen, die immer gleich anfangen von eigenen, ähnlichen Erfahrungen zu erzählen, wenn Ihnen jemand sein Herz ausschüttet? Dann wird es Zeit für einen Kuraufenthalt zur Ausbildung Ihrer empathischen Fähigkeiten. 110
    Wir haben zwei Kuren für Sie im Angebot: eine Crash-Kur (für die leichten Fälle), die schnell Heilung verspricht, und eine langwierige, gründliche.
    Beginnen wir mit der Crash-Kur. Lesen Sie die Vorrede von Stefan Zweigs Ungeduld des Herzens bis zu diesem Abschnitt: »Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt – das unsentimentale, aber schöpferische