Die Rose von Angelâme (German Edition)
Boden eingehämmert, um seinem Schmerz Linderung zu verschaffen.
Paris, am 20. April im Jahre des Herrn 1314
De Nogaret fuhr erschreckt aus dem Schlaf hoch, und beruhigte sich erst wieder, als er sicher war, nur geträumt zu haben. Aber noch immer hörte er die gellenden Schreie jenes Mannes, den der König in einem plötzlichen Wutanfall auf den Scheiterhaufen gebracht hatte. Nachdem ihm die Nachricht gebracht worden war, de Molay habe seine Geständnisse erneut widerrufen, hatte Philipp seine sofortige Hinrichtung veranlasst.
Dann hatte der König vom Fenster seines Zimmers aus zugesehen, wie drei Scheiterhaufen errichtet worden waren, und de Molay zusammen mit Geoffroy de Charnay, dem Großpräzeptor der Normandie, und einem weiteren Bruder des ehemaligen Templerordens aus dem Gefängnis hergeführt wurde. Zitternd vor Wut starrte der König auf den Mann, den er jahrelang hatte gefangen halten und quälen lassen, und der ihm zum Schluss dennoch trotzig die Stirn bot. Als die ersten Flammen aus dem Holzstoß schlugen, hörte er die Worte, die de Molay in die Richtung rief, in der er den König zu Recht vermutete:
„Es ist nicht mehr als recht und billig, dass an diesem schrecklichen Tag und in den letzten verbliebenen Augenblicken meines Lebens das widerlegt werde, was an Lügen verbreitet wurde! Denn ich will, dass die Wahrheit ans Licht komme!“
De Molay schrie diese Worte, die dem König fast den Verstand raubten, in die bereits von Rauchwolken geschwängerte Luft. Es waren viele Ohrenzeugen zugegen, die nicht vergessen würden, was dieser Mann ihnen mitzuteilen hatte. Die Unschuld des Ordens beteuerte er, die Templer, die bereits tot oder noch am Leben waren, verteidigte er, und er klagte den König und seine Vasallen an, aus Machtgier und ohne das Einverständnis des Papstes Dinge angeordnet zu haben, die schließlich zur Auflösung des Ordens und zum Martyrium seiner Mitglieder geführt haben.
Das Volk nahm es atemlos vor Gier nach Enthüllungen zur Kenntnis.
Und dann, kurz, bevor sich die erbarmungslosen Flammen seines Körpers vollends bemächtigten, dessen Füße sie bereits umzüngelten, schrie er die Worte, die de Nogaret jetzt noch in den Ohren gellten und ihm seither den Schlaf raubten:
„Der Papst, der nichts ist als das Produkt Philipps, Eures Königs, wird binnen vierzig Tagen vor den Richterstuhl des Allerhöchsten treten, wo ich ihn erwarten werde. Und du, König der Franken, Philipp, der du dich selbstherrlich zum Richter über die ernannt hast, die einstmals dein Leben vor einem aufgebrachten Volk schützten, das du zuvor aus Habgier in die Armut getrieben hast, der du der Scharfrichter warst und bist für meine Männer, die du verfolgt und umgebracht hast aus Habgier und Hass, du wirst uns binnen Jahresfrist nachfolgen und dem Rede und Antwort stehen müssen, der die Wahrheit kennt!“
De Nogaret hatte schaudernd hinter dem König gestanden, der regungslos und bleich wie ein Gespenst vom Fenster seines Palastes aus zusah, wie die Flammen den inzwischen vor Schmerz brüllenden Mann verschlangen, der bisher aufrecht und stolz dem grauenvollen Tod entgegengesehen hatte. Eine dunkle Ahnung beschlich den Kanzler, dass der alte Held von Akkon, der dort unten so erbärmlich geschunden in den Flammen starb, mehr Persönlichkeit besessen hatte und in den Berichten der Geschichtsschreiber wesentlich besser abschneiden würde als diejenigen, die seinen und seiner Mitbrüder gewaltsamen Tod veranlasst hatten.
Jetzt saß de Nogaret schweißgebadet in seinem Bett und erwartete ungeduldig den neuen Morgen. Seit dem 20. März dieses Jahres war ihm der Tag lieber als die Nacht, und heute war ein besonderer Tag: Wenn bis Mitternacht keine Nachricht über den Papst eintraf, hatten die seltsamen prophetischen Worte des Großmeisters ihren Sinn verloren, und de Nogaret würde seinen Frieden und damit seinen ruhigen Schlaf wieder finden.
Er ließ sich in seine Kleider helfen und die Haare bürsten, dann begab er sich in das geräumige Zimmer, in dem er seit Jahren alleine seine Mahlzeiten einnahm. Er befahl dem Kammerdiener, ein kräftiges Frühstück zu servieren. De Nogaret verspürte keinen Hunger. Er wollte lediglich seine fliegenden Nerven beruhigen, indem er sich mit profanen Dingen beschäftigte - indes, es gelang ihm nicht.
Vormittags wohnte er vollkommen unaufmerksam einer Ratsversammlung bei, und konnte sich hinterher nicht einmal mehr andeutungsweise daran erinnern, worum es eigentlich
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